Der Eine ist Doktor der Biochemie und hat das Unternehmertum im Blut. Er kannte sich jedoch zuerst besser im Schokoladen- als im Biotech-Geschäft aus. Der Andere ist als Mediziner und Wissenschaftler bestens mit der Erforschung von 3D-Zellkulturen vertraut. Doch ihm fehlte die Erfahrung mit der Selbständigkeit. Beide treiben ihre bahnbrechenden medizinischen Innovationen mit Leidenschaft voran und gründeten dazu ein eigenes Start-up. Für die Unternehmensführung wurden sie im „Center of Advanced Studies on Entrepreneurship in BioMedicine (CASE BioMed)“ an der Università della Svizzera italiana (USI) in Lugano fit gemacht. Dort fließen branchenspezifisches, technisches, ökonomisches und praktisches Wissen aus beiden Bereichen zusammen. Ziel der jeweils einwöchigen Programme im November ist, die Teilnehmer dabei zu unterstützen, ihre Produkte, die möglichst bei unheilbaren Krankheiten Nutzen stiften, zur Marktreife zu bringen.
Den Menschen zu helfen, ist in die DNA von Patrick Kugelmeier einprogrammiert. Dem Chirurgen nimmt man die Leidenschaft, Leben zu retten und Leiden zu lindern, im Gespräch sofort ab. Er folgte schon früh seiner Vision, regenerative Zell-Therapien zur Heilung von chronischen Krankheiten zu entwickeln. Seine Geschäftsidee: Einheitliche, Insulin sekretierende Inselzellen in Kugelform zur Behandlung von Diabetes herzustellen. Damit lässt sich die gefährliche und teure Transplantation der Bauchspeicheldrüse vermeiden.
Platte mit patenter Passform
Mit dem Thema «Inseltransplantation» beschäftigte sich Kugelmeier intensiv in seiner Doktorarbeit. An der richtigen Passform für die Kügelchen, die spezielle Ansprüche an ihre Umgebung stellen, experimentierte und tüftelte der Arzt über zehn Jahre. Schliesslich erfand er eine Platte mit spezifischen, runden Vertiefungen zur optimalen Kultivierung bzw. 3-D-Aggregation der Zellen und liess die Innovation patentieren. Auf der «Sphericalplate 5D» haben bis zu 29.000 Kügelchen, das heisst, dreihundert Mal mehr «Organoide» Platz als beim herkömmlichen Verfahren mit hängenden Tropfen in Petrischalen. «Damit wird mindestens sechzig Mal weniger Zeit zum Pipettieren und dreihundert Mal weniger Platz benötigt», begeistert sich Kugelmeier für die breite Skalierbarkeit der Platte.
Wichtige Tools und das richtige Mindset erhalten
Sein Durchhaltevermögen wurde belohnt. Schnell interessierte man sich in Spitalkreisen für die «patente» Platte. 2015 gründete er zusammen mit seiner Frau und dem Inhaber einer Architekturvisualisierungs-Firma die «Kugelmeiers AG» mit Sitz in Zollikerber (ZH) und Office in Uster. Seit 2017 ist er Vollzeitunternehmer. Auf seinem Weg in die Selbständigkeit holte er sich an der Università della Svizzera italiana (USI) das nötige Rüstzeug für die Unternehmensführung. Von Verhandlungen über Vertragsabwicklungen bis zur Preisbildung erhielt er während des Weiterbildungsprogramms die passenden Tools sowie Antworten zu branchenspezifischen, rechtlichen und regulatorischen Fragen. Ihn ermutigen am Ausbildungsprogramm die durch «äusserst kompetente Referenten vermittelten Impulse» und die praktischen Erfahrungen anderer Teilnehmer: «So gewann ich das nötige Vertrauen, auch zu mir selbst, und entwickelte die passende Einstellung für die Firmengründung.»
Vom Labor in den Operationssaal bringen
Die Ausbildung in Lugano trug Früchte: Kugelmeiers Platte durchlief erfolgreich den Marktstart und ist in Vorbereitung für die erste klinische Studie. Das Produkt wird heute von mehreren Laboren weltweit eingesetzt. Ziel ist, die Forschungsergebnisse 1:1 ins Spital zu überführen. Zusammen mit Partnern plant er den Bau eines Reinraums für künftige Transplantationen. Nach erfolgreich erfolgter Studie soll ab 2021 die neue klinische Behandlung zum Standard werden. Rund eine Million Zellkügelchen gilt es einem Patienten pro Behandlung in die Leber zu injizieren, damit sie dort dauerhaft Insulin produzieren. Von dieser Methode verspricht er sich einen wesentlichen Anstieg des Heilerfolgs. Doch nicht nur das: Damit würde zudem das Gesundheitssystem finanziell signifikant entlastet. Gemeinsam mit einem Grossinvestor ist die zweite Finanzierungsrunde vorgesehen. Zusammen mit einem internationalen Distributor treibt Kugelmeier den Verkauf der Platte voran. «Damit öffnet sich eine neue Dimension in der Zelltransplantation und regenerativen Medizin. Hier liegt die Zukunft», ist er überzeugt.
Proteine visualisieren, um gezielt Medikamente zu entwickeln
Carlo Bertozzi will die Evolution im Proteinbereich revolutionieren. Dahinter steckt eine neuartige Methode zur Visualisierung, Stabilisierung und Behandlung von menschlichen Zielproteinen, die unter anderem Krebs, Alzheimer und Diabetes auslösen. Sie zielt auf die grösste Familie, nämlich die der so genannten G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCRs), ab. Obwohl hier bisher 30 Prozent aller zugelassenen Medikamente wirksam sind, gibt es bei einigen für schwere Krankheiten verantwortlichen «Familienmitgliedern» noch immer keine geeigneten Arzneimittel. Die Innovation, die auf zwei Patenten basiert, füllt jetzt die Lücke: «Indem sich damit selbst unbehandelbare (undruggable) Proteine auf Atom-Ebene untersuchen lassen, ist es erstmals möglich, strukturbasierte Medikamente dagegen zu entwickeln. Die neue Methode beschleunigt diesen (Findungs-)Prozess erheblich», erklärt Bertozzi.
Seine ersten unternehmerischen Schritte machte der Doktor in Biochemie aber ganz woanders: Zusammen mit seinem Vater gründete und betrieb der damals 23-Jährige eine Beratungsfirma, um unter anderem Geschmack und Haltbarkeit bei der Herstellung von Schokolade zu optimieren. Sein Gespür für vielversprechende Technologien, sein Geschäftssinn und Drive erweckte in der Biotech-Szene schnell Aufmerksamkeit. 2014 wurde er gefragt, ob er bei der Gründung einer Firma mitmachen wolle. Diese wurde nach besagtem Protein «G7 Therapeutics AG» benannt. Zusammen mit vier Partnern stemmte er die 150’000 Schweizer Franken Aktienkapital.
Ganzes Ökosystem verstehen lernen
Von Beginn an kümmerte sich Bertozzi um die geschäftliche Führung des Unternehmens und merkte schnell, woran es fehlte. Damals empfahl ihm die ehemalige KTI (heute Innosuisse) das einzige auf Biotech fokussierte Schweizer Weiterbildungsprogramm in Lugano. Zwar hatte er sich die Basiskenntnisse für die Firmengründung theoretisch angeeignet, wollte aber mehr zur konkreten Umsetzung seines Business Plans wissen und sich mit «Gleichgesinnten» kurzschliessen. «Die während einer sehr intensiven Woche behandelten Themen decken die gesamte Wertschöpfungskette ab. Um ein Produkt erfolgreich (auf den Markt) zu führen und Mehrwert zu schaffen, muss man das gesamte Ökosystem verstehen. Nur wer die Zusammenhänge kennt, kann erfolgsversprechende Geschäftsnischen identifizieren», erklärt Bertozzi. Das USI-Programm half ihm, eine solide Grundlage zu schaffen, um zu reflektieren, wohin er sich mit seinem Start-up bewegen möchte. Besonders gefielen ihm die kompetenten Redner und der Austausch mit den anderen Teilnehmern.
Zusammenschluss mit grosser Biotech-Firma
Und tatsächlich konnte er das Gelernte gewinnbringend für den nächsten Entwicklungsschritt von G7 Therapeutics einsetzen. Schon vor der Gründung der Firma stellte sich die Frage nach der geeignetsten Ausrichtung des Geschäftsmodells und Eingliederung in die Wertschöpfungskette. Zwei Jahre später interessierte sich mit «Heptares» der damals grösste Konkurrent für ihre effiziente Technologie. Nach sorgfältiger Abwägung verkauften Bertozzi und seine Geschäftspartner 2016 das Start-up für 12 Millionen CHF an die Londoner (Clincal-Stage) Forschungsfirma Heptares.
Ein Jahr dauerte der Übernahme-Prozess, den er als CEO mit vollzog. «Für die M&A-Transaktion mussten wir unter anderem Anwälte, Berater und Investoren beiziehen», erklärt er. Den Fokus legt die Firma mit dem Zukauf auf die Entwicklung von Wirkstoffen gegen GPCRs. Heute ist Bertozzi als Director of Operations im Research-Hub der Heptares Therapeutics Zürich AG in Schlieren tätig. Der «ehemalige» Wissenschaftler weiss, dass der Weg vom Forschungslabor bis zur Anwendung neuartiger Medikamente viel Zeit, Geld und Geduld kostet. Er schätzt, dass neue Arzneimittel, die mit dem G7-Werkzeugkasten gefunden wurden und noch werden, in rund 15 Jahren auf den Markt kommen. USI-„BioBusiness“ und „MedTech Business“-Ausbildungsprogramme
Fit für die Unternehmensführung
Eine bahnbrechende Erfindung zu machen und diese dann zur Marktreife zu bringen, kostet viel Zeit und Geld. Allein schon die Patentierung, die regulatorischen Anforderungen und die Durchführung klinischer Studien verschlingen Millionen von Franken. So oder so: Um ein neues vielversprechendes Produkt aus der Forschung über die Entwicklung in die Herstellung und Vermarktung zu (über)führen, braucht es als Grundlage eine Firma. Aus dem Nichts ein Start-up nachhaltig aufzubauen, erfordert Fachwissen, Kapital und geeignetes Personal. All diese Aspekte fliessen in den beiden schweizweit einzigen branchenspezifischen Weiterbildungen des „Centers of Advanced Studies on Entrepreneurship in BioMedicine (CASE BioMed)“ an der Università della Svizzera italiana (USI) in Lugano unter der Leitung von Heidrun Flaadt zusammen.
Vom Business Plan bis zur Finanzierung
Das Programm beinhaltet Module u.a. zur Erarbeitung des Business Plans, zum Schutz des geistigen Eigentums, zu Sales & Marketing und zu den Finanzierungsprozessen beim Firmenaufbau. Von der Gründung bis zur Veräusserung (mit entsprechenden Exit-Strategien) werden die verschiedenen Lebensphasen eines Unternehmens behandelt. Zudem erhalten die Teilnehmer einen Überblick über die Life-Science-Szene in der Schweiz.
Am eigenen Geschäftsbeispiel lernen
Das intensive einwöchige Programm ist abgerundet mit Diskussionen und Fallbeispielen. Die Teilnehmenden erarbeiten in dieser Zeit ein eigenes interdisziplinäres Projekt bzw. Geschäftskonzept. Ganz wichtig: Im Rahmen einer Bewertung ihres Business Modells oder Produkts lernen angehende und bereits aktive Unternehmer ihr Erfolgs-Potenzial besser einzuschätzen und erhalten bei Bedarf auch Alternativen, das heisst neue Möglichkeiten vermittelt. Weiter werden die Teilnehmer an der USI in der Fähigkeit geschult, mit den einzelnen Stakeholdern wie potenziellen Kunden oder Investoren wirkungsvoll zu kommunizieren.
Im Hochschulprogramm vermitteln national und international namhafte Dozenten und Referenten ihr Wissen und ihre praktischen Erfahrungen. Sie stammen aus Organisationen wie Innosuisse oder sind als ehemalige Teilnehmer mittlerweile selbst gestandene Unternehmer wie Carlos Bertozzi und Patrick Kugelmeier (siehe Porträts).
Für Firmengründer und Fortgeschrittene
“Hauptkriterium für die Teilnahme an der Ausbildung ist das Vorhandensein einer überzeugenden Geschäftsidee, die einen “unmet medical need” abdecken sollte. Viele Teilnehmende sind in der Gründungsphase; einige verfügen bereits über das dafür benötigte “Seed Capital”; andere wiederum haben schon eine oder mehrere Kapitalrunden abgeschlossen. «Da wir sämtliche Unternehmens-phasen abdecken, sind die Programme natürlich auch für Fortgeschrittene interessant”, so Flaadt.
2010 ging das erste BioBusiness-Programm an den Start. Seit 2014 ist auch das MedTech Business Programm im Angebot. Insgesamt 350 Akademiker, Industrie-Vertreter und Investoren (Venture Capitalists) haben bisher daran teilgenommen und die Lern- und Austauschplattform erfolgreich genutzt. Darunter befinden sich auch Unternehmerpersönlichkeiten wie Vincent Mutel, der frühere Gründer und CEO von Addex Pharmaceuticals, Jens Kelm, der ehemalige CTO von Insphero, oder Duncan Sutherland, CEO, TwentyGreen.
Partnerschaft mit “MIT Life Sciences Angels”
Um auch die internationale Ausstrahlung der beiden Schweizer Life Science-Lehrgänge in Lugano zu unterstreichen, ist das Center of Advanced Studies on Entrepreneurship in BioMedicine aktuell eine einmalige Partnerschaft mit den “MIT Life Sciences Angels” eingegangen. Damit kann sich der Teilnehmende des diesjährigen BioBusiness-Programms (vom 12.-16. November 2018) mit dem erfolgversprechendsten Projekt/Startup bei den Life Sciences Angels des “Massachusetts Institute of Technology” vorstellen. Dies ist eine Besonderheit: So handelt es sich bei MIT um eine in Boston ansässige Alumni-Gruppe, die normalerweise ausschliesslich in ihr angeschlossene Start-ups investiert. www.biobusiness.usi.ch