Unvollständige Anträge, vernachlässigte IT-Sicherheit und heterogene Datenqualität – das sind nur einige erste Erfahrungen von Benannten Stellen im Rahmen der neuen Medizinprodukteverordnung.

Um sich auf die präzisierten und verschärften Anforderungen der Medizinprodukteverordnung (MDR) einzustellen, bleibt noch etwas Zeit: Aufgrund der Corona-Pandemie hat das Europäische Parlament einer Verlängerung der Übergangsfrist bis zum 26. Mai 2021 zugestimmt. Als Medizinprodukt gilt alles, was therapeutischen oder diagnostischen Zwecken dient. Vom Verbandsmittel bis zum Implantat werden die zugehörigen Gegenstände, Stoffe oder Software in drei Risikoklassen unterteilt. Die Verordnung gilt nicht nur für das Inverkehrbringen neuer Produkte. Auch die Konformität von Bestandsprodukten ist neu zu bewerten, selbst wenn diese nicht mehr geändert werden und nach 2024 auf dem Markt bleiben sollen. Dazu gehört eine technische Dokumentation, die ggf. zu aktualisieren ist. Sie umfasst zum Beispiel Prüfnachweise für die elektrische Sicherheit, die elektromagnetische Verträglichkeit, aber auch Umwelt- und Transportsimulationen. Weitere Prüfungen betreffen die Biokompatibilität für Produkte, die in Kontakt mit dem Menschen kommen sowie die funktionale Sicherheit und die IT-Sicherheit (Informationssicherheit). Ein wichtiger Aspekt ist außerdem die Erhebung klinischer Daten (Sicherheits- und Leistungsmerkmale) auf Basis klinischer Studien, wissenschaftlicher Literatur sowie Markterfahrungsdaten.
Stand der Technik beobachten
Zur Einhaltung ist der „Stand der Technik“ maßgebend. Weil sich dieser teils dynamisch entwickelt, sind die Hersteller gezwungen, ihn zu beobachten und ihre Produkte oder die zugehörigen Gebrauchsanleitungen bei Bedarf anzupassen. Das gilt auch, wenn diese nicht mehr hergestellt, aber noch genutzt werden. Sind wesentliche Leistungsmerkmale nicht normativ definiert, muss der Hersteller sie für sein Produkt selbst festlegen. Damit die Leistung unbeeinträchtigt bleibt, müssen diese konstruktiv sicher ausgelegt sein.
Audits und generelle Dokumentation
Seit Mai 2019 können Unternehmen ihre Produkte und die zugehörige Dokumentation bei TÜV SÜD einem Konformitätsbewertungsverfahren
nach der MDR unterziehen, um sie sicher in Verkehr zu bringen. Nicht jeder ist dabei ausreichend vorbereitet. Typische Beispiele dafür sind unvollständige Antragsformulare oder eine inkonsistente Verwendung der Zweckbestimmung innerhalb der technischen Dokumentation. Auch wird mitunter die Notwendigkeit interner Audits oder Managementreviews mit Bezug zur MDR übersehen. Oder die vertraglichen Vereinbarungen mit Händlern und Bevollmächtigen sind mangelhaft.
Vor Einführung der MDR nutzten viele Unternehmen bei Klasse-III-Medizinprodukten für die klinische Dokumentation teils Referenzwerte und Daten aus der klinischen Anwendung bzw. wissenschaftlichen Publikationen vergleichbarer Produkte anderer Hersteller. Das erfordert nun umfangreichere vertragliche Vereinbarungen. Bei Herstellern, die die Daten nun erstmals selbst erheben, sind diese mitunter unvollständig
oder liegen nicht in der erforderlichen Sorgfalt, Detailtiefe oder Informationsgüte vor. In der Praxis mangelt es immer wieder auch an der Umsetzung der UDI- und EUDAMED-Prozesse. Mit der MDR sind künftig alle Medizinprodukte mit ihren Stammdaten und einer eindeutigen
Produktidentifikation (UDI) in die EU-weite Datenbank (EUDAMED) aufzunehmen. Erstmalig sind davon sogar einige Medizinprodukte der Klasse I betroffen wie bspw. medizinische Pinzetten.
Sorgenkind technische Dokumentation
Besonders häufig scheitern Audits aufgrund von Mängeln bei der technischen Dokumentation, die meist schon in ihrer Struktur, ihrem Umfang und dem Fokus nicht den Erfordernissen des Anhang II bzw. III der MDR entsprechen – was die Prüfprozesse aufgrund von Korrekturzyklen oder nachzureichender Dokumente verlängert. Fallweise vernachlässigen Entwickler, Konstrukteure und Unternehmen auch einige der
neuen MDR-Aspekte wie die IT-Sicherheit, die Auflistung von Hilfsstoffen oder die Durchsuchbarkeit der Dokumentation. Ein wichtiger Punkt ist in diesem Rahmen auch die sogenannte Erstfehlersicherheit nach den General Safety and Performance Requirements (GSPR) aus Anhang I der MDR. Danach muss ein medizinisches elektrisches Gerät oder eines seiner Teile in der erwarteten Lebensdauer frei von inakzeptablen Risiken aufgrund von Fehlern bleiben. Dazu zählt z.B. der Ausfall eines Bauteils.
Umgang mit Leitlinien und Fernaudits
Herausfordernd sind teils auch inhaltliche Neuerungen wie die MDCG-Leitlinien. Die Koordinierungsgruppe Medizinprodukte
(MDCG) berät als Expertengremium bei der einheitlichen Durchführung der MDR. Da die zuständigen Aufsichtsbehörden bei den Benannten Stellen darauf achten, ob sie die Einhaltung der Leitlinien prüfen, sind diese auch für Entwickler und Hersteller von Medizinprodukten faktisch als verbindlich anzusehen.
Grundsätzlich kam die Implementierung der MDR zuletzt nur schleppend voran, weil die mit der MDR obligatorischen Erstaudits vor Ort teilweise nicht vorgenommen werden konnten. Fernaudits hat die EU – bis auf wenige COVID-19-relevante Ausnahmen – bisher nicht zugelassen. Das dürfte dazu führen, dass Länder, die weniger von der Pandemie betroffen sind, Medizinprodukte auch schneller in Verkehr bringen können
Solide Planung als Erfolgsschlüssel
Um sich optimal auf einen MDR-Audit vorzubereiten, sollten folgende vier Punkte in den Blick kommen und vorgeplant sein:
- Ressourcen vorhalten: Unternehmen sollten genügendqualifizierte Mitarbeiter einplanen, um die zusätzlichen regulatorischen Anforderungen und die gestiegene Komplexität zu bewältigen.
- Zusammenarbeit vorbereiten: Das betrifft die Abstimmung der Implementierung der MDR mit den zugehörigen Händlern und der Benannten Stelle.
- Informationspolitik etablieren: Aufgrund der sich kontinuierlich wandelnden Anforderungen sollten der wechselseitige Informationsfluss zuverlässig geregelt und erprobt sein. Das zahlt sich aus, wenn sich bspw. die Herausgabe neuer Guidance-Dokumente auf die nötigen Stichprobenumfänge oder die Klassifizierung von Software auswirkt.
- Frühzeitig handeln: Wer noch nicht vorbereitet ist, kann jetzt zwar von der verlängerten Übergangsfrist profitieren. Trotzdem sollten Unternehmen nun schnellstmöglich aktiv werden, nicht zuletzt, um Engpässen bei Audits vorzubeugen.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 5/20 erschienen. -MBA
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