Auswirkungen der Medical Device Regulation auf die Kommunikation zwischen Produktverantwortlichen und Rohstoffherstellern.

Informationen retten Leben: eine Allergie, eine unerkannte Intoleranz oder eine unwahrscheinliche Nebenwirkung. Eine transparente und nachvollziehbare Aufklärung ist das A und O in der Medizin bzw. in der Kommunikation zwischen Patient und Arzt. Die Verordnung (EU) Nr. 2017/745 über Medizinprodukte (auch Medical Device Regulation, MDR) tritt Corona- bedingt Ende Mai kommenden Jahres in Kraft und verfolgt ein ähnliches Ziel. Sie zählt seitdem zu den wichtigsten EU-Gesetzen für alle medizinischen Bestands- und Neugeräte sowie Instrumente auf dem EU-Markt. Eine zentrale Forderung der Verordnung liegt in der intensivierten Kommunikation zwischen Materiallieferanten und dem Produktverantwortlichen bzw. Inverkehrbringer, denn sie insistiert unter anderem Materialgleichheit zwischen Prototypenfertigung und Serie. Die MDR untermauert, dass nur durch eine transparente und nachvollziehbare Kommunikation zwischen Rohstofflieferant und zertifizierter Stelle künftige Risiken minimiert werden können, Verantwortlichkeiten optimiert und rechtliche Konsequenzen von vornherein vermieden werden.
Anforderungen und Änderungen
Auch wenn die MDR zahlreiche, langfristige Änderungen und Aufwände mit sich zieht, dienen diese dem Allgemeinwohl sowie dem Schutz des Einzelnen und müssen zwingend von Herstellern umgesetzt werden. Als wohl prominentestes Negativbeispiel für die zwingende Notwendigkeit dieser Neuregelung gilt der Skandal rund um minderwertige Brustimplantate. Eine folgenschwere Entscheidung für die Betroffenen, Ärzte und Krankenkassen. Angekurbelt durch diesen Skandal und weiterer Geschehnisse wurde eine europaweite, unabhängige Zulassung vorgeschlagen, um ein solches Szenario für die Zukunft auszuschließen. Diesem Bestreben wurde nachgekommen: Dreh- und Angelpunkt der MDR ist ein gelungenes Risikomanagement sowie eine Risikominimierung. Für den Rohstofflieferanten spielt daher, wie auch in der Vorgängerversion der MDR, die Materialgleichheit zwischen zertifiziertem Baumuster und Serienfertigung die entscheidende Rolle. Neu ist, dass auch medizinische Geräte und Produkte ohne direkten medizinischen Nutzen betroffen sind, solange diese ähnliche Eigenschaften besitzen, unter anderem getönte Kontaktlinsen, aber auch Masken in einen deutlich genauer reglementierten Fokus.
Im Kontext der aktiven Informationspflicht der MDR muss die Kommunikation zwischen Produktverantwortlichem und Rohstoffhersteller transparent, vollständig und nachvollziehbar sein, einschließlich Änderungen und Reklamationsfälle. Zusammengefasst bedeutet das: Sobald es in einem Medizinprodukt, einem Gegenstand der persönlichen Schutzausrüstung oder einem Produkt mit ähnlichem Nutzen zu einer Materialänderung kommt, ist der zuständige Produktverantwortliche gesetzlich dazu verpflichtet, ein Risikomanagement nach ISO 14971 durchführen. Ausschlaggebend ist hierbei die schriftliche Bewertung und Dokumentation des Themas sowie der Entscheidung. Diese ist verbindlich und legt fest, wer im Schadensfall zur Verantwortung gezogen werden kann. Hier sollte wohlbedacht und vorausschauend geplant und gehandelt werden, da im Konflikt- oder Schadensfall die Bringschuld hinsichtlich der Beweislast beim Produktverantwortlichen liegt.
Unsorgfältiges Arbeiten kann mit hohen Sanktionen geahndet werden, bis hin zur Freiheitsstrafe. Im Gegenzug muss der Rohstoffhersteller sein Produkt sowie das Risiko bewerten, dass durch die Veränderung entsteht. Aber: Eventuelle Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Geräts oder möglicherweise auftretende Wechselwirkungen mit anderen Bausteinen, z. B. eines Medikaments, können an dieser Stelle nicht erahnt, geschweige denn bewertet werden. Des Weiteren bestehen für den Rohstoffhersteller keinerlei Gefahren, wenn er eine Fehleinschätzung trifft. Die Verantwortung über mögliche Risiken und Nebenwirkungen, die für den Patienten entstehen können, liegt ausschließlich beim Produktverantwortlichen. Ein solches Szenario führt unweigerlich in eine moralische Sackgasse: Die Verantwortlichkeit über eine Materialänderung, die weitreichende Konsequenzen bis hin zum Gesetzesbruch haben kann, liegt nicht bei jenem, der die Entscheidung über eine solche Änderung trifft, sondern im schlimmsten Fall bei einem Unwissenden.
Materialkonsistenz mit Hilfe der VDI 2017
Die Lösung ist denkbar einfach: Ein gleichbleibendes Material. Aber wie wird ein solches definiert? Auch hier stößt man schnell auf eine weitere Herausforderung, denn Rohstoff- und Medizinprodukthersteller definieren diese unterschiedlich. Hilfestellung kann die VDI Richtlinie 2017 für Medical Grade Plastics bieten. Laut dieser besteht Anzeigepflicht sobald sich einer der folgenden Parameter ändert:
- mechanische Eigenschaften (Elastizität, Steifheit, Kriechverhalten, Schlagzähigkeit usw.)
- thermische Eigenschaften (Wärmeformbeständigkeit usw.)
- morphologische Eigenschaften (Struktur und Homogenisierung, Kristallisationsvermögen, Verzweigungsgrad)
- chemische Eigenschaften (Beständigkeit, Löslichkeit usw.)
- optische Eigenschaften (Transparenz, Farbton usw.)
- Verarbeitungseigenschaften (Viskosität, Gelierung, Schwindung, Granulatform usw.)
- Biokompatibilität (Zytotoxizität, extrahierbare und herauslösbare Substanzen)
- Herstellmethode
- Herstellort / Produktionslinie
Im nächsten Schritt folgt eine Risiko-Analyse mit einer anschließenden Bewertung umweitereMaßnahmen festzulegen.
Verantwortlichkeiten definieren, Risiken minimieren
Je höher die Anzahl der Bestandteile eines Produkts, desto komplexer greift die MDR, und dies ist besonders relevant bei Compounds die grundsätzlich aus verschiedensten Inhaltsstoffen bestehen. Aufgrund dessen sollte ein Medical Grade Plastic nach Möglichkeit nicht verändert werden. Wenn sich eine Änderung jedoch nicht vermeiden lässt, muss im Zuge eines umfassenden Change-Management Prozesses beim Rohstoffhersteller zwingend eine Information an seinen Kunden fließen – ein Vorgang, der bei KRAIBURG TPE schon immer und standardmäßig abläuft. Es kann also nur den Königsweg zur Klärung der Verantwortlichkeit geben: Je länger die Rohstoffliste, umso strikter muss das Change Management aufgestellt sein. Daher benötigt es eine Politik der absoluten Transparenz in Sachen Kommunikation durch Rohstoffhersteller. Zwar bedeutet jede Änderung zusätzlichen Verwaltungsaufwand und Kosten, jedoch überwiegen die Vorteile einer vollständigen Dokumentation. Und da es hier um gesetzliche Forderungen geht, kann Unwissenheit keinen Schutz bilden.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 5/20 der MED engineering erschienen. -mba
Autor:

Market Segment Manager Medical Applications
Kraiburg TPE