Junge Medizintechnik Start-Ups müssen verschiedenste Phase im Gründungsprozess durchlaufen. Von der Idee bis zur Finanzierung & Umsetzung des Projektes müssen einige Hürden genommen werden.
Medizintechnik Start-Ups stehen beim Fundraising zum einen in Konkurrenz mit anderen Start-Ups aus dem Medizintechnikbereich, zum anderen mit Start-Ups aus den weiteren Life Science Bereichen wie Biotechnologie, Diagnostik und Telemedizin. Medizintechnik-Projekte sind im Vergleich zu Biotechnologie-Projekten risikoärmer und es wird weniger Kapital benötigt bis zum Exit. Zum erfolgreichen Exit – sprich dem Verkauf an ein etabliertes Medizintechnik-Unternehmen – muss, wie auch für Diagnostika und Telemedizin Projekte, der „Proof-of-Marketability„ des Projektes erbracht werden, d.h. das Start-Up muss nach der CE-Zertifizierung des Produktes beweisen, dass es Umsätze generiert und die Profitabilität des Projektes realistisch ist.
Fundraising Phasen
1. Vorgründungs-Phase: Die meisten Medizintechnik Start-Ups werden aus Universitäten oder Forschungsinstituten gegründet. Um in dieser Phase das Projekt bis zum Prototyp oder Proof-of-Concept entwickeln zu können, bewerben sich die Teams z.B. beim EXIST-Programm des BMWI, anderen öffentlichen – meist regionalen – Förderprogrammen oder bei Förderprogrammen auf EU-Ebene. Wird der Proof-of-Concept erfolgreich erbracht oder der Prototyp erfolgreich entwickelt, stellt sich für das Entwickler-Team die Frage der Gründung einer eigenen Gesellschaft, um das Projekt bis zur Marktreife zu entwickeln und den “Proof-of-Marketabilty“ zu erbringen.
2. Gründung/ Seed Finanzierung: In der Regel wird das Start-Up in Deutschland als GmbH gegründet, Anteilseigner sind die Entwickler und ggf. erste Investoren. Die Seed-Finanzierung, meist 1 – 2 Mio. EUR über 1 – 2 Jahre, dient vornehmlich zur Finanzierung des Entwicklerteams, Büros/ Laborräumen, der weiteren technischen Entwicklung des Projektes und der Anmeldung der ersten Patente. Wichtig in dieser Phase zu klären ist die CE-Zertifizierungsstrategie und die für die CE-Zertifizierung notwendigen Einzelprojekte. Investoren sind in dieser Phase in der Regel die Gründer, Privatinvestoren, Business Angels, Family Offices und öffentliche Investoren wie der HighTech Gründerfonds (HTGF), die NRW-Bank, BayernKapital, IBB etc. Die Beteiligung von institutionellen VC Fonds in dieser frühen Phase ist eher selten. Eine weitere Möglichkeit der Beschaffung von Eigenkapital in der Seed Phase ist das Crowdfunding. Wie die Erfahrung mit diesem Finanzierungsinstrument in den letzten Jahren gezeigt hat, wird Crowdfunding vornehmlich für kleinere Projekt mit einem Finanzierungsbedarf von 1 – 2 Mio. EUR und maximal 2 Finanzierungsrunden eingesetzt. Für große Projekte mit hohem Finanzbedarf ist das Instrument nicht geeignet.
3. Series A Finanzierungsrunde: An die Seed Finanzierung schließt sich die Series A Finanzierung an mit dem Ziel, aus dem vorliegenden Prototypen ein vermarktungsfähiges Produkt zu entwickeln. Der Finanzbedarf liegt, je nach Projekt, zwischen 3 – 10 Mio. EUR, der Zeitraum beträgt 2 – 2,5 Jahre. Investoren in der A Runde können die Investoren der Seed Runde sein, in der Regel beteiligen sich ab dieser Runde aber auch institutionelle und Corporate VC Fonds an dem Unternehmen. Die institutionellen VCs investieren in der Regel zwischen 5 – 10 Mio. EUR in eine Medizintechnik-Projekt, wofür sie einen Firmenanteil von 15 – 20% und einen Sitz im Beirat haben möchten. Ob ein institutioneller VC Fonds in das Projekt investiert hängt von der Attraktivität des Lösungsansatz für einen bestehenden unmet medical need, der Wettbewerbssituation und den USPs, den Patenten, dem Business Modell, der P/L und last not least dem Start-Up Team ab. Bei den Corporate VC Fonds kommt als Kriterium noch hinzu, ob das Projekt im strategischen Fokus des Unternehmens liegt.
4. Series B Finanzierungsrunde: Liegt nach Abschluss der A-Runde ein vermarktungsfähiges Produkt vor, dient das Series B Investment der Finanzierung der für die CE-Zertifizierung notwendigen klinischen Studie, die Finanzierung des CE-Zertifizierungs- und QM Prozesses und der Markteinführung bis zum „Proof-of-Marketability„ – meist in der DACH Region. Die Markteinführung sollte 1,5 – 2 Jahre nach dem Start der klinischen Zulassungsstudie realistisch sein, der Kapitalbedarf für die Series B beträgt zwischen 3 – 5 Mio. EUR. Die Investoren in der Series B sind in der Regel dieselben institutionellen und Corporate VCs wie in der Series A.
5. Series C/ D Finanzierungsrunde: Weitere Finanzierungsrunden können notwendig werden, falls die Markteinführung des entwickelten Produktes in der B-Runde scheitert, aber die Investoren so von der Technologie des Produktes überzeugt sind, dass sie weitere finanzielle Mittel für eine Neuentwicklung/ modifizierte Weiterentwicklung des Produktes zur Verfügung stellen möchten.
6. Exit: Der Exit des Start-Ups – meist 7 Jahre nach der Gründung – erfolgt, bei erfolgreicher Produktentwicklung, in der Regel in Form eines Verkaufs an ein großes Medizintechnikunternehmen. Ein Börsengang an die Deutsche Börse oder die Euronext kommt – aus vielerlei Gründen – praktisch nicht vor.
Fundraising Prozess
Beim Fundraising für Life Science Start-Ups hat sich ein Standardprozess zwischen dem Start-Up und institutionellen/ Corporate und öffentlichen Investoren etabliert, der im Folgenden beschrieben wird. Im Fall, dass private Investoren oder Family Offices sich als Investoren beteiligen, können auch einzelne Stufen des Standardprozesses übersprungen werden.
1. Business Plan/ Pitch Deck: Im ersten Schritt des Fundraisings erstellt das Start-Up den Business Plan. Falls vertrauliche Informationen zu Patenten, Geschäftsstrategie oder Finanzplanung kommuniziert werden sollen, empfiehlt sich vor Versand der Unterlagen ein Non Disclosure Agreement (NDA) mit dem potentiellen Investor abzuschließen.
2. Erstellung Investoren Short-List: Bevor das Start-Up mit Investoren in Kontakt tritt, sollte es eine Short List mit anzusprechenden Investoren erstellen und kritisch zusammen überprüfen. Hier zählt Qualität vor Quantität.
3. Versand Teaser/ Two Pager: Aus dem Business Plan wird ein zweiseitiger Teaser mit den wichtigsten, non confidential Informationen über das Projekt extrahiert, der dann an die Investoren der Short List mit einem Anschreiben per E-Mail versandt wird.
4. Versand Pitch Deck: Bei Interesse des Investors an dem Projekt wünscht er in der Regel ein Pitch Deck mit non confidential Informationen, das dann als Diskussionsgrundlage beim Investor für das weitere Procedere dient. Die Erfahrung zeigt, dass der Investor die Unterzeichnung eines NDAs soweit wie möglich herauszögern möchte.
5. Investoren Meeting/ Videokonferenz: Im nächsten Schritt kommt es dann zu einem Meeting mit dem Investor, bei dem das Team des Investors das Start-Up Team kennenlernen, den Business Plan besprechen und offene Fragen klären möchte. Für diese Meetings wird dann normalerweise ein NDA abgeschlossen, da hier auch vertrauliche Punkte besprochen werden sollen.
6. Due Diligence: Falls das Projekt aus Sicht des Investors attraktiv ist und weiterverfolgt werden soll, erfolgt im nächsten Schritt die Due Diligence des Projektes. Dazu erstellt das Start-Up einen virtuellen Datenraum mit allen relevanten Informationen, Verträgen etc. zum Projekt. Der interessierte Investor erhält dann einen zeitlich limitierten Zugang zu dem virtuellen Datenraum.
7. Term Sheet: Im nächsten Schritt erstellt der Investor ein Term Sheet, worin er die relevanten Konditionen für eine Beteiligung in dem Projekt auflistet.
8.Term Sheet Review: Erhält das Start-Up Term Sheets von mehreren Investoren, werden diese Term Sheets intern geprüft. Es ist üblich, für größere Finanzierungsrunden ein Syndikat von Investoren mit einem Lead Investor zusammenzustellen.
9. Verhandlung Investmentvertrag: Im nächsten Schritt beginnen dann die Verhandlungen mit dem Lead Investor, der stellvertretend für die anderen Investoren des Syndikats die Vertragsverhandlungen führt.
10. Signing/ Closing: Nachdem sich das Start-Up mit den Investoren auf den endgültigen Vertragstext geeinigt hat, wird der Vertrag bei einem Notar von allen Beteiligten unterschrieben (Deal Signing). Der Vertrag tritt aber erst dann in Kraft (Deal Closing), wenn alle im Vertrag aufgeführten Pflichten und Garantien für das Inkrafttreten des Vertrages, die zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung noch offen waren, erfüllt wurden. Die Erfüllung muss notariell beglaubigt werden.
11. Auszahlung: Nach Inkrafttreten des Investmentvertrages kommt es zur Auszahlung der finanziellen Mittel gemäß den Milestones, die im Investmentvertrag festgelegt worden sind.
12. Dauer des Fundraising Prozesses: Für den gesamten, hier dargestellten Fundraising Prozess ist eine Dauer von 6 – 9 Monaten einzuplanen.
Autor:
Dr. Michael Thiel, Kooperationspartner SANEMUS AG
Website: www.sanemus.com
Dieser Artikel erschien im Sonderteil MED career in der MED engineering 2/21