Operationsrobotik kann ein wichtiger Bereich der Digitalisierung im klinischen Ökosystem sein. Dirk Barten, Geschäftsführer von Intuitive, diskutiert in diesem Beitrag die Bedeutung einer Investition in diesem Bereich.

Das Gesundheitssystem steht vor einem Wendepunkt. Die Digitalisierung nimmt Fahrt auf, unter anderem mit dem Krankenhauszukunftsgesetz. Das ist gut so, denn die Digitalisierung kann Vorteile und Effizienz bieten, unter anderem eine bessere Vernetzung von Prozessen in Kliniken. Dies kann dabei helfen, eine gesteigerte Kosteneffizienz und eine reduzierte Arbeitslast für das Personal zu erreichen. Das alles mit dem Ziel, die klinischen Ergebnisse zu verbessern. Dem OP kommt in diesem Kontext eine besondere Rolle zu. Hier müssen maximale Behandlungsqualität und Effizienz bestmöglich zusammenspielen. Treibende Kraft dieser Entwicklung ist die Technologie. Sie kann der Katalysator einer umfassenden Innovationsoffensive im Krankenhaus sein.
Das Fundament: Die digitale Vernetzung
Wie sieht das im Detail aus? Und welchen Beitrag kann gerade die roboter-assistierte OP-Technologie leisten? Ganz einfach: Innovative Technologien wie das roboter-assistierte da Vinci-Chirurgiesystem sind kein separater, sondern vielmehr ein digitaler Bestandteil des klinischen Ökosystems. Ganz faktisch heißt das, dass die roboter-assistierte, chirurgische Plattform in das jeweilige Krankenhausinformationssystem eingebunden werden kann. Möglich macht das ein Clinical Media Manager, der als Schnittstelle fungiert und für einen reibungsfreien Datentransfer vom OP in das IT-Netzwerk der Klinik sorgt. Diese Daten können auch der Operateurin oder dem Operateur via App direkt auf seinem mobilen Endgerät zugänglich gemacht werden. Fakt ist: Digitale Technologie verfolgt keinen Selbstzweck. Am Ende soll sie dem Wohl des Menschen dienen.
Standardisierung vs. Variabilität
Der Mehrwert der OP-Robotik kann dabei helfen, bessere Behandlungsergebnisse, eine zügigere Rekonvaleszenz und geringere Komplikationen in der postoperativen Therapie herbeizuführen. In der Urologie beispielsweise belegt die aktuelle Studie von Stolzenburg et al., dass Patientinnen und Patienten, die roboter-assistiert operiert wurden, von einer schnelleren Wiederherstellung der Kontinenz und erektilen Funktion im Vergleich zur laparoskopischen Chirurgie profitierten (weitere Studien haben ebenfalls vergleichbare Kontinenz- und Potenzraten gezeigt).
Aus einer Gesamtperspektive der operativen Eingriffe über alle Modalitäten hinweg wissen wir jedoch, dass es eine erhebliche Variabilität bei den chirurgischen Ergebnissen gibt, die Ärztinnen sowie Ärzte und OP-Teams erzielen. Zum Beispiel hatten laut einer Analyse weniger erfahrene Operateurinnen und Operateure bei komplexen Operationen mit bariatrischen Eingriffen bis zu dreimal mehr Komplikationen und bis zu doppelt so viele komplikationsbedingte Wiedereinweisungen als solche mit mehr Erfahrung.
Wir glauben, dass roboter-assistierte chirurgische Plattformen dazu beitragen können, diese Variabilität zu reduzieren und die Patientenversorgung durch Standardisierung zu verbessern. Indem sie die Abläufe während der Operation aber auch rund um und im OP standardisieren, können diese Systeme die Implementierung von Best Practices und Prozessen erleichtern. Das kann der Gefahr von Behandlungsfehlern entgegenwirken und ermöglicht es den OP-Teams, besser vorhersehbare, wiederholbare Ergebnisse zu erzielen.
Kommunikation und Wissenstransfer im OP
Die Digitalisierung kann neue Möglichkeiten schaffen, um den Transfer von chirurgischen Fähigkeiten und Wissen zu erleichtern. Digitale Lehr- und Lerninhalte sind fester Bestandteil der Operationsplattform und des dazugehörigen Intuitive-Ökosystems.
Eine Software kann zum Beispiel Operateurinnen und Operateure per Video miteinander vernetzen, um Fallbeobachtungen und andere Arten von Peer-to-Peer-Mentoring während einer Operation zu ermöglichen. Eingriffe können mit Unterstützung und Anleitung durch eine Mentorin oder einen Mentor, einem sog. Proktor, durchgeführt werden, der möglicherweise tausende von Kilometern entfernt ist.
Auch Hersteller moderner OP-Technik können von der Digitalisierung profitieren, um die Systemleistung zu verbessern und die Echtzeitkommunikation mit Kunden zu erleichtern. Cloudbasierte Kommunikationsmodelle können eine effektive Unterstützung bei Systemproblemen ermöglichen – in Echtzeit, auch während Operationen.

Voneinander und miteinander lernen. Digital.
In der Chirurgie kann der Einfluss von digitalen Lern- und Lehrmitteln hoch sein. Sie können ein weltweites Wissensreservoir schaffen, von dem alle Nutzenden der OP-Robotik profitieren können. Diese Systeme können auch als virtuelle Simulatoren fungieren und cloudbasiertes personalisiertes Lernen anbieten, wie zum Beispiel ein virtuelles Traineeprogramm. Hier werden Eingriffe simuliert und können – auf Wunsch auch in Zusammenarbeit mit einem Proktor – ausgewertet werden. Die Operateurinnen und Operateure können jederzeit fortlaufend an ihren Fertigkeiten im Umgang mit dem System und an ihrer Performance feilen, egal, wo sie sich befinden. In den letzten zwölf Monaten sind 431.000 Übungen über das System abgeschlossen worden.
Wichtig ist, dass die Kombination von roboter-assistierten Chirurgiesystemen und der Digitalisierung die Möglichkeit bietet, aus den abgeleiteten Daten umsetzbare Veränderungen vorzunehmen.
Durch die Erfassung von Daten und Videos von unseren Systemen und die Durchführung von Datenanalysen können wir helfen, Bereiche für Verbesserungen innerhalb der OP-Teams und sogar innerhalb bestimmter Schritte eines bestimmten Verfahrens zu identifizieren. Letztendlich glauben wir, dass Innovationen wie diese uns helfen können, Operateurinnen und Operateure sowie OP-Teams mit individualisierten Lernplänen zu versorgen, die helfen können, Lernkurven zu beschleunigen und Ergebnisse zu verbessern.
Real World Evidenz: Daten schaffen Tatsachen
Der OP ist innerhalb der klinischen Wertschöpfungskette einer der wichtigsten Faktoren. Postoperative Komplikationen schlagen sich negativ auf die Bilanz einer Klinik nieder. Operationen können kostenintensiv sein. Dass hier alle Prozesse bestmöglich funktionieren, ist daher auch für das Klinikmanagement elementar. Der finanzielle Druck, der auf ihm lastet, steigt. Die digitale Transformation kann helfen, diesen Druck zu lindern, indem sie den Kliniken hilft, ihre eigenen Ziele zu setzen und ihre Leistung in ihrem eigenen realen gesundheitsökonomischen Kontext zu analysieren.
OP-Robotik hilft den Kliniken, anhand dieser Daten umsetzbare Veränderungen voranzutreiben: Indem den Krankenhäusern Experten zur Verfügung gestellt werden, die sie bei der individuell validierten Datenanalyse und Programmoptimierung unterstützen. Diese lokalen Vor-Ort-Beratungen helfen den Klinikteams bei der Identifizierung und Beantwortung von Schlüsselfragen und bei der Umsetzung von Veränderungen. Zum Beispiel: Sind alle Abläufe rund um den Eingriff nahtlos ineinander verzahnt und geübt? Ist das System ausgelastet oder kann es in weiteren Disziplinen zum Einsatz kommen? Gibt es Möglichkeiten, die Anzahl der verwendeten Instrumente in einem bestimmten Verfahren zu reduzieren/standardisieren?
Erhebungen von Intuitive zeigen, dass ein gutes Instrumentenmanagement zu möglichen Einsparungen von bis zu 4.000 Euro pro Sieb führen kann. Die Ergebnisse können zu einer umfassenden Optimierung der täglichen Praxis im jeweiligen Krankenhaus beitragen. Dazu zählt auch die Frage nach der effizienten Nutzung der Instrumente. Diese sind im Bereich der OP-Robotik ein relevanter Kostenfaktor. Wir haben vor kurzem Instrumente eingeführt, die für eine größere Anzahl von Eingriffen wiederverwendet werden können, was ihre Nutzungsdauer erheblich verlängert. Beispielsweise können schon jetzt viele der gängigsten da Vinci X/Xi-Instrumente häufiger als zuvor eingesetzt werden, nämlich bei 12 bis 18 statt bis zu 10 chirurgischen Eingriffen.
Die Innovationsoffensive hat begonnen
Der digitale Wandel ist unaufhaltsam. Die Möglichkeiten, die er mit sich bringt, können bahnbrechend sein. Im Bereich der OP-Robotik zeigt sich das bereits heute. Das da Vinci-Chirurgiesystem wird derzeit vor allem in der Urologie, Gynäkologie und Allgemeinchirurgie eingesetzt. Neue Einsatzgebiete für robotische Operationen werden systematisch erforscht. Im vergangenen Jahrzehnt sind weltweit die Fallzahlen in allen Disziplinen kontinuierlich gewachsen: Beispielsweise wurden 2020 insgesamt 500.000 allgemeinchirurgische Eingriffe mit einem da Vinci-Chirurgiesystem durchgeführt – von weltweit 1,2 Millionen robotischen Operationen. Die Technologien, die eine da Vinci-Plattform in sich trägt, können dabei helfen, Kliniken zukunftsfähig zu machen. Dass diese Worte mehr sind als bloße These, belegt die Tatsache, dass 2020 mehr als 20 Prozent der Klinken weltweit mehr als eines unserer roboter-assistierten Chirurgiesysteme in ihren Operationsräumen stehen haben. Wir beobachten den starken Trend, dass auch Anwender in Deutschland in zweite oder dritte Operationssysteme investieren. Die Innovationsoffensive im Krankenhaus hat begonnen.
Autor:
Dirk Barten, Geschäftsführer Intuitive Surgical GmbH
Quelle: www.intuitive.com
Aus der MED engineering Ausgabe 4/2021