Maja sana® soll eine Gesundheitsplattform für zu Hause werden. Das Projekt geht die Probleme der Polymedikation an, will negative Wechselwirkungen verhindern und an Medikationspläne erinnern. Wir haben mit dem Geschäftsführer von CompWare Medical, Herrn Gerd Meyer-Philippi, über die Plattform gesprochen.

Herr Meyer-Philippi, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, unseren Lesern das digital-gestützte Medikamentenversorgungs-System von CompWare Medical vorzustellen. Vielleicht wollen Sie zuerst ein paar Worte über ihr Unternehmen verlieren? Wofür ist CompWare Medical bekannt?
Meyer-Philippi: CompWare Medical ist ein mittelständisches Familienunternehmen mit Sitz im südhessischen Gernsheim, das wir zu zweit 1988 gegründet haben. Seit über 30 Jahren entwickeln, produzieren und vertreiben wir nun bereits ein IT-basiertes Methadon-Dokumentations- und Dosiersystem. Mit MeDoSys® sind wir in der Substitutionstherapie Marktführer geworden. Als Unternehmen sind wir also schon lange im Bereich der digitalen Medikamentenabgabe tätig. Dadurch kennen wir auch viele Akteure im Gesundheitssektor über Jahre und tauschen uns regelmäßig mit ihnen aus. Und so wurden wir auf das Problem der Fehldosierung mit all seinen Facetten und Folgen schon früh aufmerksam.
Das Vergessen der Medikamenteneinnahme scheint ein großes Problem darzustellen. Die Studie des Mainzer Marktforschungsunternehmens Cogitaris, welche Sie Ihrem Projekt zugrunde legen, ergab, dass ca. ein Drittel der Befragten ihren Medikamenten-Einnahmeplan nicht – oder nur teilweise kennt. Ein Drittel versteht den ärztlich verordneten Plan nicht und ein weiteres Drittel scheint die tägliche Einnahme zu vergessen. Zeigen sich diese Probleme über alle Altersklassen hinweg?
Meyer-Philippi: Man muss sich eines vergegenwärtigen: Allein in Deutschland nehmen zehn Millionen Menschen täglich fünf und mehr Medikamente ein – Tendenz steigend. Wir sprechen da von „Polymedikation“. Das birgt erhebliche Risiken: Mitunter sind es einfach „zu viele“ Medikamente und der Normalbürger ist damit schlicht überfordert. Oft ergeben sich auch dramatische Wechselwirkungen oder Medikationspläne sind nicht richtig. Und das zieht sich durch alle Altersklassen. Aber das Risiko, Medikamente falsch einzunehmen, steigt deutlich, wenn verschiedene Medikamente regelmäßig und sehr exakt eingenommen werden müssen. Und das nimmt natürlich mit steigendem Alter zu. In Zahlen ausgedrückt heißt das: 7,5 Millionen der zehn Millionen Betroffenen sind älter als 65 Jahre.
Da es weder ein zentrales patientenbezogenes Medikamentenregister oder eine individuelle Patientenakte gibt, haben die behandelten Ärzte in der Regel keinen Überblick über die bereits verschriebenen Medikamente – und somit oftmals auch der Hausarzt nicht. Ein Gesamtmedikationsplan für den Patienten ist leider die Ausnahme.
…Und hier kommt ihr neues Produkt „maja sana®“ ins Spiel. Worum handelt es sich dabei?
Meyer-Philippi: Aufgrund der angesprochenen gravierenden Probleme in der Medikamentenversorgung haben wir uns 2018 dazu entschlossen, unser Produktportfolio zu erweitern. Wir wollten mit unserer technischen, logistischen und medizinischen Expertise eine Rundum-Lösung für die Betroffenen schaffen. Unser patentiertes digitales Dosier- und Kommunikations-System maja sana® soll Menschen, die auf Medikamente angewiesen sind, dabei unterstützen, ein gesundes und selbstbestimmtes Leben zu führen. Im Kern ist maja sana® ein automatischer und intelligenter Dispenser für zu Hause, der die Medikamente für sieben Tage enthält. Dafür hatten wir ein ambitioniertes Lastenheft aufgestellt, um mithilfe digitaler Technologie die Schwachstellen der Medikamentenversorgung zu beseitigen. Unser zentrales Ziel dabei war es, Betroffene und ihre Angehörigen, wie auch weitere Beteiligte zu schützen und zu entlasten. Das ist uns gelungen und wir planen Mitte des Jahres den Markteintritt. Besonders hat uns gefreut, dass unser Forschungs- und Entwicklungsprojekt aufgrund seiner hohen gesellschaftlichen Bedeutung von Beginn an durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie finanziell gefördert worden ist.
Woher stammen die Tabletten für den Dispenser? Wer übernimmt die Auffüllung?
Meyer-Philippi: Für uns ist der Apotheker der zentrale Organisator und pharmakologische Experte. Er erstellt den Gesamtmedikationsplan individuell für jeden Patienten. Das Wochenmagazin des Dispensers ist mit einem Schlauchblister gefüllt und es sind jeden Tag beliebig viele Medikamentenvergaben möglich. Das vom Apotheker gewählte Blisterzentrum bereitet die Schlauchblister für den Anwender dem Gesamtmedikationsplan entsprechend vor. Die pharmakologische Kompetenz des Apothekers sorgt dafür, dass die richtigen Medikamente mit der richtigen Dosierung enthalten sind und der Medikationsplan stimmig ist. Wechselwirkungen mit teilweise schweren Auswirkungen können so ebenfalls vermieden werden. Eine Partnerschaft mit den Apotheken war daher für uns immer einer der wichtigsten Aspekte bei der Entwicklung und ist sicherlich ein weiterer Kern unseres Modells.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die pharmakologische Dienstleistung des Apothekers im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken vergütet werden kann. Das gilt übrigens auch für die Fahrdienstleistungen, wenn der Anwender nicht selbst in die Apotheke kommen kann. In unseren Gesprächen mit Apothekern erleben wir immer wieder eine große Bereitschaft, den maja sana® Dispenser künftig als weitere Dienstleistung in den Alltag zu integrieren.
Wie werden die Patienten von dem System benachrichtigt, dass sie ihre Tabletten nehmen müssen?
Meyer-Philippi: maja sana® informiert den Anwender auf verschiedenen Wegen: Ein akustisches und optisches Signal direkt durch den Tablettendispenser erinnert an die Einnahme, wenn der Nutzer zu Hause ist. Ist der Anwender zu Zeiten der eigentlichen Medikamentenverabreichung unterwegs, erhält er – wenn gewünscht – eine Push-Nachricht auf sein Smartphone. maja sana® gibt also die vorab portionierten, richtigen Medikamente zum korrekten Zeitpunkt mit Erinnerungen und Alarmierungen ab.
Was passiert, wenn die Einnahme vergessen wurde? Wann werden Familie oder Pflegedienstleister informiert, wann Notdienste? Enthält das System auch eine Protokollfunktion, um vergangene Einnahmen zu dokumentieren?
Meyer-Philippi: Das Gesamtsystem unterstützt alle Prozesse von der Apotheke bis zur Einnahme, löst aber auch notwendige Reaktionen aus. Kommt es zu Problemen mit der Tablettenversorgung oder Nichteinnahme, werden die behandelnden Pflegedienstleister, Notdienste und Angehörigen auf Wunsch automatisch per App informiert. Aus dem Testbetrieb wissen wir, dass eine Funktion besonders gern genutzt wird: Man kann eine automatische Nachricht bekommen, wenn in einem bestimmten Zeitfenster keine Medikamente entnommen wurden. Denn dann besteht in der Regel Handlungsbedarf. Vielleicht liegt sogar ein Notfall vor, der so zeitnah und direkt erkannt werden kann. maja sana® ist sozusagen ein „passiver Notruf“.
Darüber hinaus zeichnet das System die Medikamenten-Ausgabezeiten auf – der Anwender kann demnach die Historie jederzeit einsehen und seinem Arzt vorlegen.
Wie genau sind die Dritten in diesem Falle mit dem Gerät vernetzt?
Meyer-Philippi: Ein wichtiger Punkt: maja sana® dosiert nicht nur Medikamente richtig, das System soll zudem noch viele weitere Funktionen bekommen. So arbeiten wir beispielsweise daran, eine Video-Sprechstunde mit dem Arzt oder auch die Anbindung medizinischer Messgeräte wie Blutdruckmessung und Wearables via Bluetooth zu ermöglichen. Neben den Medikamenten laufen also weitere wichtige Gesundheitsdaten automatisch bei maja sana® zusammen. Deswegen war die Datensicherheit für uns ein weiterer Schwerpunkt der Entwicklung. Als Partner steht die Deutsche Telekom an unserer Seite, die Cloud-Lösungen auf deutschen Servern bietet, die speziell für medizinische Daten ausgelegt und gesichert sind.
Wie verhält es sich mit der Ergonomie & Nutzerfreundlichkeit? Muss man technikaffin sein, um das Gerät benutzen zu können? In Anbetracht der Zielgruppe scheint das ein wichtiges Thema zu sein.
Meyer-Philippi: Die einfache Bedienbarkeit stand für uns immer im Fokus. Gerade ältere Menschen wollen möglichst lange selbstbestimmt zu Hause zu leben. Deswegen haben wir zusammen mit dem Institut für Automatisierungstechnik und Softwaresysteme sowie dem Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design der Universität Stuttgart eine sehr einfache und intuitive 1-Knopf-Bedienung entwickelt. Für die Bedienung sind also weder PC- noch Handy-Kenntnisse notwendig.
Was passiert, wenn man einmal für längere Zeit außer Haus und unterwegs ist? Gibt es eine zusätzliche mobile Lösung?
Meyer-Philippi: Ja, die gibt es. maja sana® lässt nämlich die Mitnahme der portionierten Medikamentenblister als Vorabentnahme zu. Unterwegs macht die Anwender-App auf die jeweiligen Einnahmetermine aufmerksam. Um Fehleinnahmen von vorneherein auszuschließen, wird mit der App über das Smartphone der richtige Blister sofort erkannt.
Um noch mal auf die Umfrage zurückzukommen: Unverständnis gegenüber dem Medikamentenplan war ein großes Problem. Liefert „maja sana®“ auch Informationen, warum welche Medikamente genommen werden müssen?
Meyer-Philippi: Selbstverständlich! maja sana® enthält neben dem gesamten Medikationsplan auch Informationen darüber, wie das jeweilige Medikament einzunehmen ist. Darüber hinaus ist der Medikamentenbeipackzettel in elektronischer Form für jedes Arzneimittel abrufbar. Und zu guter Letzt ist jedes Blistertütchen mit Patienten-Name, beinhaltete Tabletten und Barcode exakt beschriftet.
Wie wird das Produkt finanziert? Kann es im Rahmen einer gesetzlichen Krankenkassenleistung oder einer Zusatzleistung erstanden werden?
Meyer-Philippi: Dem Anwender wird die marktreife Lösung durch eine maja sana® zertifizierte Apotheke noch in diesem Jahr für rund 39 Euro monatlich zur Verfügung gestellt. Wir rechnen zudem damit, dass der Dispenser im kommenden Herbst in die Hilfsmittelliste aufgenommen wird. Eine entsprechende Anwendungsbeobachtung soll zusammen mit der AOK Hessen im ersten Quartal 2021 starten. Auch mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss werden bald konkrete Gespräche aufgenommen.
Ich danke Ihnen für die interessanten Einblicke, Herr Meyer-Philippi!
Das Interview führte Marc-Benjamin Aurin.
Mehr unter: www.compwaremedical.de