Eine aktuelle Langzeitstudie mit internationaler Autorenschaft zeigt signifikantes Potenzial im Innovations- und Entwicklungsprozess von biomedizintechnischen Geräten auf.
Ein Gedankenexperiment: Eine Fabrik in China stellt Seife her und verpackt diese Seifenstücke in Schachteln. Allerdings ist der Verpackungsprozess nicht fehlerfrei, so dass einige Schachteln keine Seifenstücke enthalten. Da dies natürlich zu Kundenbeschwerden führt, beauftragt der Fabrikdirektor zwei Ingenieurteams mit der Lösungsfindung und dem Bau eines Prototyps. Das erste Team kommt aus dem hochentwickelten Osten/Norden Chinas, das zweite aus dem weniger entwickelten Westen Chinas.
Team 1
Team 1 nutzt die neueste verfügbare Technologie. Mithilfe von Laserstrahlen wird die Vibration der Seifenschachteln auf dem Förderband bestimmt und aus diesen Daten dann anschließend – unter Nutzung eines sehr schnellen Rechners – auf den Inhalt geschlossen. Damit das Ergebnis auch ganz genau ist, wird noch ein redundantes System parallelgeschaltet. Dieses bestimmt mittels Radars den Inhalt der Schachtel. Anschließend werden die Schachteln markiert, die leer sein sollen, und mittels Roboter vom Band genommen. Die Lösung ist recht teuer und die lernenden Algorithmen werden Zeit und vielleicht noch Softwareupdates brauchen um sehr genau zu werden.
Team 2
Team 2 stellt einen Ventilator neben das Band. Dieser bläst die leeren Schachteln herunter.

Hier hört die Fiktion auf, und die Realität beginnt. Nachdem die amüsante und unterhaltsame Seite dieser Geschichte verklingt, stellt sich der eine oder andere vielleicht die Frage: „Wie kann man schneller und kostengünstiger entwickeln, um gegen diese Konkurrenz zu bestehen?“.
Eine kürzlich veröffentlichte Langzeitstudie zeigt am Beispiel von Angiographie-Geräten auf, dass durch eine entsprechende Gestaltung des Innovations- und Entwicklungsprozesses Zeit und Kosten eingespart werden können. [1]
Während einer Langzeitbeobachtung wurden 672 Datensätze zu 302 Themen im Innovations- und Entwicklungsprozess über einen Zeitraum von 47 Monaten gesammelt. Die Daten entsprechen einem Aufwand von 30 Personenjahren. Diese Datenbasis wurde genutzt, um wichtige Prozessparameter zu berechnen, die Rolle der Prozessteilnehmer zu analysieren, die Verwendung der genutzten Problemlösungsmethoden zu beurteilen und die an der Lösung beteiligten Produktkomponenten zu identifizieren. Anhand der vorliegenden Informationen wurde gezeigt, dass durch Prozessoptimierung eine bis zu 20 % schnellere (Weiter-)Entwicklung von biomedizintechnischen Geräten erreicht werden kann. Der Zeitgewinn und die damit verbundene Kostensenkung können zu einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit beitragen.
Dabei stehen insbesondere folgende Fragen im Mittelpunkt:
- Suchen wir immer nach kostengünstigen Alternativen?
- Wie konsequent werden alternative Problemlösungsmethoden – z.B. Abstraktion, Analogie, Variation, Kombination, Dialog (Abb. 2) – eingesetzt?
- Welche Aspekte sind außerdem wichtig im internationalen Wettbewerb?
In Lateinamerika, Afrika und großen Teilen Asiens wird intensiv an dem Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung gearbeitet. Daraus entsteht ein signifikanter Bedarf an erschwinglicher Medizintechnik. Es ist zu beobachten, dass in diesen Regionen ansässige Medizintechnik-Unternehmen vor allem mit Produkten, die „erschwinglich, einfach bedienbar und zuverlässig“ sind, Erfolg haben. Wie können hiesige Unternehmen damit konkurrieren?

Zuverlässig
Die Reputation „Made in Germany“ ist ein signifikantes Verkaufsargument. Über eine konsequente Anwendung der Qualitätssysteme und eine durch Automatisierung unterstützte, realitätsnahe Qualitätsprüfung kann sichergestellt werden, dass dieses Versprechen auch gehalten wird.
Erschwinglich
In diesem Kontext ist die Anwendung der Prozesskostenrechnung sinnvoll, da diese eine transparente Gemeinkostenzuordnung sowie eine bessere Produktkostenkalkulation ermöglicht und damit auch ein marktorientiertes Zielkostenmanagement unterstützt. Dies ist wichtig, um in Märkten mit niedrigen Preisen oder hohen Zöllen konkurrenzfähig zu sein.
Einfach bedienbar
Die Bedienphilosophie muss frühzeitig mit den regionalen Anwendern und Fachexperten definiert und abgestimmt werden. Hierbei spielt der menschzentrierte Gestaltungsansatz, wie er z.B. in der DIN EN ISO 9241-210 beschrieben ist, eine entscheidende Rolle.
Klinische Kooperationen und web-basierte Feedback-Plattformen sind weitere wichtige Möglichkeiten für eine gezielte Interaktion mit den Anwendern.
Die Realisierung dieser Ziele erfordert eine fundierte Ausbildung:
- Für ein ansprechendes Bedienkonzept und eine konkurrenzfähige Kostenstruktur ist eine multidisziplinäre Zusammenarbeit notwendig.
- Neben dem „Wissen, was möglich ist“, ist es wichtig zu „wissen, was gebraucht wird“. Dazu gehören ein entsprechendes Problembewusstsein und ein lokales Netzwerk oder alternativ das Grundwissen um kulturelle und lokale Herausforderungen im jeweiligen Gesundheitssystem.
Diese zentralen Voraussetzungen für die Entwicklung innovativer und erfolgreicher Produkte sowie Dienstleistungen können durch eine praxisnahe Ingenieursausbildung geschaffen werden, wie auch die Internationale Föderation für Medizin- und Biotechnik (IFMBE) betont. In diesem Zusammenhang müssen Ingenieure zunehmend auch interdisziplinäre Kompetenzen mitbringen, z.B. aus dem betriebswirtschaftlichen Bereich, der Psychologie, oder dem Designumfeld.
Eine enge Kooperation von Med-Tech-Unternehmen mit wissenschaftlichen Einrichtungen verbunden mit den traditionellen Stärken der hiesigen Unternehmen eröffnen interessante Chancen im globalen Wettbewerb.
Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 4/2021 der MED engineering.
Die Autoren:
Dipl.-Ing. Erik Busch (Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, erik.busch@mailbox.tu-dresden.de)
Prof. Dr. Clemens Bulitta (Oberbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden,c.bulitta@oth-aw.de)
Prof. Dr. Kai Nobach (Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, kai.nobach@th-nuernberg.de)
Prof. Dr. Norbert Strobel (Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt,norbert.strobel@gmail.com)
Die Studie
[1] Busch, E., et al. Optimizing the innovation and development process of medical devices – a study based on angiographic equipment. Health Technol. (2021). https://doi.org/10.1007/s12553-021-00537-7