Dr. Michaela Kauer-Franz, Gründerin und Geschäftsführerin von Custom Medical, erklärt, welche Anforderungen ein Medizinprodukt vor Markteintritt erfüllen muss:

„Jedes Medizinprodukt muss einige festgelegte Zulassungsverfahren durchlaufen, bevor es Pflegeangestellte, Ärztinnen oder Ärzte zum ersten Mal in den Händen halten oder bedienen dürfen. So sollen diese Verfahren die Sicherheit sowie die Qualität der zukünftigen Erzeugnisse überprüfen und nebenbei mit einer klaren CE-Kennzeichnung für einen freien Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt sorgen. Dabei steht stets der aktuelle Stand der Technik im Vordergrund, weshalb auch die dafür eingeführten Normen einer dauerhaften Anpassung bedürfen. Neben den allgemeinen medizinischen Geräten, Gegenständen und Stoffen zählen besonders in der heutigen Zeit auch immer mehr Apps und Software, die in diesem Umfeld Einsatz finden, zu den durch EU-Richtlinien festgelegten Medizinprodukten.
Klar festgelegt
Durch die 2017 neu in Kraft getretene Ordnung für Medizinprodukte (MDR) möchte das Europäische Komitee für Normung (CEN) für mehr Verbraucher-, Arbeits- und Umweltschutz in Krankenhäusern und Arztpraxen sorgen und gleichzeitig die Sicherheit und Qualität für die Patienten erhöhen. In 123 Artikeln mit 17 Anhängen beschreibt sie, welche Technologien sich überhaupt als Medizinprodukte bezeichnen dürfen, nennt die genauen Anforderungen an die Sicherheit und Leistung dieser und erklärt die Durchführung und Dokumentation von klinischen Bewertungen und Nachbeobachtungen. Daneben enthält sie auch konkrete Angaben über Daten, die Hersteller bei der Registrierung anzugeben haben, Regeln für die Einstufung in bestimmte Risikoklassen sowie die genauen Schritte für die durchzuführenden Konformitätsbewertungsverfahren.
Normen regeln den Ablauf
Beim Konformitätsbewertungsverfahren handelt es sich um den Prozess zur Feststellung, ob alle Regelungen der Verordnung – wie gefordert – erfüllt wurden. Detaillierte Anforderungen bei den einzelnen Prozessen finden sich in den jeweiligen Normen, wie beispielsweise ISO 13485, ISO 14971 oder ISO 62366-1. Diese enthalten nähere Angaben zum Qualitätsmanagement-System, dem Risikomanagement oder auch zum Usability Engineering von Medizinprodukten. Hier steht im Besonderen ein annehmbares Verhältnis zwischen Nutzung und Risiko, Gebrauchstauglichkeit sowie das Einhalten von Software-Lebenszyklusprozessen im Vordergrund. Nur Produkte, die diese Verfahren durchlaufen und sich damit eine CE-Kennzeichnung verdienen, dürfen in Deutschland und Europa in den Verkauf gehen.
Viel Arbeit von Anfang an
Schon vor der eigentlichen Entwicklung des neuen Produktes beginnen die ersten Schritte des CE-Zulassungsverfahrens. Dabei lässt sich der gesamte Ablauf vom ersten Gedanken bis hin zur fertigen Technik – die in Krankenhäusern und Arztpraxen Einsatz findet – in drei Phasen unterteilen. Schon in der Startphase vor dem Entstehungsprozess der zukünftigen Schöpfung müssen sich Hersteller genaue Gedanken über diese machen. Nach einer ersten Definition der Zweckbestimmung des neuen Medizinproduktes steht die Ermittlung der passenden Richtlinien für den Release an. Zusätzlich bedarf es einer konkreten Klassifizierung für eine Einordnung in eine der vier festgelegten Risikoklassen. Dabei liegt die Spanne zwischen Stufe eins mit geringem und Stufe drei mit hohem Risiko.
Genaue Vorgaben
Im nächsten Schritt sollte sich der Hersteller für ein Konformitätsbewertungsverfahren entscheiden und möglicherweise für eine Einbindung einer Benannten Stelle sorgen. Als staatliche Organisationen überwachen und bewerten sie die von den Unternehmen durchgeführten Zulassungsvoraussetzungen und bescheinigen deren Korrektheit. Je nachdem, in welche Klasse das Produkt eingeordnet gehört, braucht es diese Kontrolle. Nur bei Stufe 1 mit ihrem geringen Risiko entfällt diese Pflicht. Zudem kommt es im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahren zu Unterschieden bei der Beurteilung des Qualitätsmanagements. Dies betrifft alle Klassen und äußert sich beispielsweise in Audits oder der Überprüfung von Produkten aus der Fertigung. Genaue Informationen zu den einzelnen Besonderheiten in Hinblick auf den Ablauf lassen sich in den Anhängen der MDR nachlesen.
Dokumentation als A und O
Erst nach einer detaillierten Vorbereitung beginnt überhaupt die eigentliche Entwicklung des neuen Medizinproduktes. Während der Entstehungsphase und der folgenden klinischen Bewertung braucht es eine genaue entwicklungsbegleitende technische Dokumentation. Diese lässt sich anhand von Normen aus der MDR genau in Bezug auf Inhalt, Struktur und sonstige Regularien definieren. Es reicht vom Labelling über Spezifikationen bis hin zu Stakeholder-Anforderungen. Anhand dieser Angaben beurteilen die Benannten Stellen, ob die Entwickler alle Richtlinien eingehalten haben und sie jederzeit konform mit dem Qualitätsmanagment-System arbeiteten. Nach Abschluss dieser Dokumentation tritt das neue Erzeugnis erstmalig in den Release. Ab diesem Zeitpunkt steht einer Konformitätserklärung nichts mehr im Weg und Hersteller können nach Einbezug einer Benannten Stelle das CE-Zeichen gut sichtbar auf ihrem Produkt anbringen.“
Weitere Informationen unter: www.custom-medical.com.
Autorin Dr. Michaela Kauer-Franz
Nach ihrem Studienabschluss in Psychologie promovierte Kauer-Franz am Institut für Arbeitswissenschaft der Technischen Universität Darmstadt. Ab 2010 leitete sie dort den Bereich Usability und schloss zwei Jahre später ihre Dissertation über die Akzeptanz technischer Produkte ab. Im Anschluss an ihre Promotion übernahm sie die Leitung der Forschungsgruppe Produktergonomie. In diesem Rahmen untersuchte Kauer-Franz den Bereich User Research, Usability und Usability Engineering und bildete damit ein Netzwerk und das Fundament für ihr heutiges Unternehmen, die Data Driven UX Design Agentur Custom Interactions, die sie 2012 zusammen mit ihrem Ehemann gründete und seitdem leitet. Mit der daraus entstandenen Marke Custom Medical unterstützt sie gemeinsam mit ihrem Team Kunden bei der Entwicklung und Testung von Medizin- und IVDR-Produkten. Als Lehrbeauftragte an der Technischen Universität Darmstadt hält Kauer-Franz die Vorlesungen „Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen“ und „Gestaltung von medizinischen und kritischen Benutzeroberflächen“. Zudem ist sie Trainerin für den VDE, die Haufe Akademie sowie das Forum Institut und seit 2019 TÜV Rheinland zertifizierter Medical Devices Usability Expert.
Quelle: Dr. Michaela Kauer-Franz
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