Vom Krankenhaus- zum Patienteninformationssystem

Nach wie vor ein streitbares Thema – die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Auf dem diesjährigen Hauptstadtkongress in Berlin war sich zumindest das Publikum der Session „Vom Krankenhaus- zum Patienteninformationssystem: Digitale Plattformen vernetzen Akteure“ von Siemens Healthineers einig: „Mensch, da muss doch mehr gehen“!
Und auch wenn verschiedene Akteure im Gesundheitswesen hier zusammentrafen, schien es, als ob sich die Partikularinteressen nicht allzu sehr voneinander unterscheiden würden. Mit dem gleichen Ziel vor Augen wurde vor allem der Datenschutz als „retardierendes Element“ empfunden. Wie das Dr. Christian Kaiser, Leitung Digital Services Central Western Europe bei den Siemens Healthineers sieht, haben wir ihn nach der Session gefragt.
Im Interview
MEDengineering: Die Akteure im Gesundheitswesen möchten eigentlich das Gleiche, das Ziel ist klar vor Augen: Digitale Transformation für die Gesundheit von morgen. Oft wird dann der Datenschutz als großer Verhinderer bezeichnet. Welche Perspektive werfen Sie hier ein?
Dr. Christian Kaiser: Wenn man von der Datenschutzgrundverordnung spricht, ist dies eher etwas, um das wir beispielsweise in den USA beneidet werden. Klar ist die DSGVO streng: Aber gerade wir als Bürgerinnen und Bürger empfinden es auch als positiv, dass sie so streng ist und unsere Daten sicher sind. Das baut für uns Vertrauen auf, um dann auch die digitalen Instrumente im Gesundheitswesen zu nutzen, statt sich auf unsicherem Terrain zu bewegen.
Die Handhabung der DSGVO muss in der richtigen Art und Weise erfolgen, dann erlaubt sie auch ausreichende Spielräume. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob die DSGVO nicht ab und zu benutzt wird, um zu behaupten, dass etwas wegen dieser Richtlinie nicht realisiert werden kann. Wenn wir genauer hinsehen, gibt es nämlich inzwischen einige Produkte und Lösungen am Markt, die beispielsweise rein Cloud-basiert sind. Vor drei oder vier Jahren wurde solche Lösungen in Deutschland immer noch sehr skeptisch betrachtet, inzwischen aber sind sie breit am Markt vertreten. Auch erhalten sie das Einverständnis der Datenschützer der Krankenhäuser. Ich glaube, wenn wir die DSGVO richtig nutzen, ist sie vor allem eine Chance.
Betrachtet man die zum Teil freimütige Datenweitergabe in den sozialen Medien, fehlt oft das Verständnis dafür, dass gleichzeitig ein Unwille besteht, die eigenen Patientendaten für Forschungszwecke oder medizinischen Fortschritt zur Verfügung zu stellen. Wie steht dies zueinander im Verhältnis?
Der Bürger im Gesundheitswesen hat vielleicht Vorbehalte, seine Daten heraus zu geben. Spätestens aber der Patient hat dann überhaupt keine mehr, wenn er glaubt, dass ihm dadurch geholfen werden kann. Einen Krebspatienten zu fragen „Möchtest du deine Daten einer KI zur Verfügung stellen, um vielleicht dann einen besseren Behandlungspfad zu bekommen?“ wird bestimmt nicht in die Antwort münden: „Oh nein, mir ist es wichtiger, dass meine Daten geheim sind!“. Das ist eine unterschiedliche Betrachtungsweise: Zunächst von der neutralen Warte als Bürger, dessen Unterlagen wenig greifbar in einer elektronischen Patientenakte gespeichert werden. Aber spätestens als Patient findet man das toll!
Betrachten wir beispielsweise Österreich mit der Elektronischen Gesundheitsakte: Wenn sich ein Skifahrer verletzt, dann in eine beliebige Klinik geht und die Daten dem Arzt freigibt, kann das letzte Röntgenbild von der Hüfte, wie sie vorher aussah, abgerufen werden. Der behandelnde Arzt kann sich dann entsprechend um eine Rekonstruktion kümmern. Das sind schon Vorteile, da überlegt keiner mehr, ob das sinnhaft ist oder nicht.
Prof. Karl Lauterbach hatte in den Raum geworfen, dass die ePA als Optout-Lösung stattfinden muss. Sind die Patientinnen und Patienten in Deutschland mündig genug, um hier ihre eigenen Daten zu verwalten? Stichwort Gesundheitsaufklärung, Tragweite und Verantwortung?
Das ist eine gute Frage, ob sich die gesamte Bevölkerung tatsächlich damit befasst. Da würde ich wieder zwei Beispielen heranziehen: Die Schweiz und Österreich sind bei Siemens Healthineers Technologie-Partner. Österreich mit der Elektronischen Gesundheitsakte hat ein Optout-Model. Dort haben sich 97,5 Prozent der Bevölkerung für eine Elektronische Patientenakte entschieden, nur 2,5 Prozent haben sich dagegen entschieden. In der Schweiz gibt es kein Optout. Die Zahlen derjenigen, die dort eine Patientenakte haben, ist noch sehr überschaubar.
Es wäre sicherlich sinnvoll, in Deutschland eine Optout-Lösung einzuführen. Zum einen natürlich, um die Digitalisierung voranbringen. Zum anderen kann dann jeder auf eine bequeme Art und Weise seine Akte befüllen und jeder, der sie nicht haben möchte, könnte diese dann abschalten. Dies wäre ein guter Weg für uns alle.
Herr Dr. Kaiser, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Fachredakteurin Dr. Vanessa Neubauer