Mit einem Soforthilfe-Paket unterstützt das Land Baden-Württemberg kleine und mittlere Medizintechnik-Unternehmen bei der Umsetzung der Europäischen Medizinprodukteverordnung (EU-MDR). Davon unberührt bleibt indes der drohende Engpass bei Ir-Produkten: Um dem entgegenzuwirken, weist die MedicalMountains GmbH auf Artikel 59 der EU-MDR hin.
Bis ins Jahr 2021 stellt Baden-Württemberg zwei Millionen Euro zur Verfügung, mit denen unter anderem produktgruppenspezifische Gemeinschaftsprojekte und landesweite Expertenstammtische gefördert werden sollen. Die MedicalMountains GmbH war in die Ausarbeitung des Programms eingebunden. „Wir haben unsere praktischen und pragmatischen Ansätze darlegen können, die im Cluster bereits gut funktionieren“, so MedicalMountains-Geschäftsführerin Julia Steckeler. Aus diesem Input sind mögliche Maßnahmen für ganz Baden-Württemberg entworfen worden. Details zu der Ausschreibung sollen zeitnah kommuniziert werden.
Das Land Baden-Württemberg unterstützt mit dem Programm vor allem kleine und mittlere Unternehmen darin, alle Daten und Nachweise in teils zu kurz gedachten Übergangsfristen fertigzustellen. Der „Flaschenhals“ Benannte Stellen bleibt aber dennoch bestehen, und damit auch ein drohender Engpass bei wiederverwendbaren chirurgischen Instrumenten der Produktklasse Ir: „Es ist unwahrscheinlich, dass bis Mai 2020 alle eingereichten Akten abgearbeitet werden können, bedenkt man, dass es derzeit erst eine Benannte Stelle in Deutschland gibt, die nach der neuen EU-MDR auditieren darf“, erinnert Julia Steckeler.
Vor diesem Hintergrund werden Stimmen nach einer Fristverlängerung lauter, jüngst etwa aus dem Bundesgesundheitsministerium. Julia Steckeler bleibt in diesem Punkt skeptisch. „Wir haben seit Längerem klare Signale seitens der EU, dass sich am Zeitplan nichts mehr ändern wird. Es wäre fatal, auf eine Verlängerung zu hoffen.“ Dafür müsste das Gesetzespaket aufgeschnürt und erneut die Zustimmung aller Mitgliedsländer eingeholt werden. Auch ein „Korrigendum“ der Verordnung mit neuen Fristen sei eher unrealistisch, heißt es aus Brüssel, da dies einer Gesetzesänderung mit den genannten Konsequenzen gleichkäme und entsprechend lang dauere. Wie ein Abgeordneter des Europäischen Parlaments berichtet, sei die zuständige Kommissarin mehrfach auf die Probleme hingewiesen worden; man sei „verärgert“ über den schleppenden Fortgang der Dinge.
Ändert sich nichts auf der Brüsseler Bühne, kann ein nationales Vorgehen in Betracht gezogen werden. „Artikel 59 der EU-MDR lässt diese Tür offen“, betont Julia Steckeler. Der Artikel besagt, dass nationale Behörden das Inverkehrbringen eines Medizinprodukts auf ihrem Hoheitsgebiet auch ohne vorheriges Konformitätsbewertungsverfahren beantragen können, wenn „dessen Verwendung (…) im Interesse der öffentlichen Gesundheit oder der Patientensicherheit oder -gesundheit“ liege. „Für Klasse Ir-Produkte ist das Interesse mehr als gegeben“, findet Julia Steckeler, „eine Vielzahl an Eingriffen und damit auch an Patienten sind betroffen.“ Zwar gebe es offene Fragen hinsichtlich der praktischen Handhabung des Artikels 59. Gleichwohl sollte darüber offen diskutiert werden. Denn: „Die EU-MDR ist kein reines Industrieproblem mehr, sondern hat längst eine gesellschaftliche Dimension“, so Julia Steckeler. „Falls alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, bliebe Artikel 59 die ‚Ultima Ratio‘, um die Versorgungssicherheit zu gewährleiten. Daher sollten wir diese Option wenigstens für einen definierten Zeitraum in Erwägung ziehen.“ Unter Umständen wäre eine deutsche Initiative auch allen anderen EU-Ländern eine Hilfe: Wie in Absatz 3 des Artikels 59 ausgeführt wird, kann eine national erteilte Genehmigung auf das gesamte Gebiet der Union ausgeweitet werden.
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