
Teil 1 unserer Serie Rechte & Normen in der Medizintechnik: Die Klinische Bewertung wird in Artikel 61 der MDR gefordert und ist fester Bestandteil der Technischen Dokumentation und des Zulassungsverfahrens.
Nicht erst seit der Einführung der neuen EU Verordnung 2017/745, der Medical Device Regulation (kurz MDR), ist eine Klinische Bewertung fester Bestandteil der technischen Dokumentation und somit Pflicht für jeden Hersteller von Medizinprodukten. Bereits in der Richtlinie 93/42/EWG (der MDD) wird eine Klinische Bewertung erwähnt und erläutert. Sucht man jedoch in beiden Dokumenten, der MDR und der MDD, nach dem Schlagwort „Klinische Bewertung“, wird deutlich, wie sehr diese mit der neuen Regulation in den Vordergrund gerückt wurde: In der MDD findet man diesen Begriff neun mal, in der MDR gibt es bereits 59 Treffer. Dies unterstreicht sehr gut die steigenden Anforderungen, die hier gestellt werden. Was genau eine Klinische Bewertung ausmacht und wie sie sachgerecht durchzuführen ist, soll hier nun näher beleuchtet werden.
Die Klinische Bewertung
Eine Klinische Bewertung ist eine systematische Recherche und Analyse der vorhandenen Fachliteratur und weiterer Daten aus der Marktbeobachtung und Rückmeldung, um darzulegen, dass mein Produkt den Sicherheits- und Leistungsanforderungen entspricht, also die Anforderungen der MDR zur Zulassung erfüllt. Ziel ist es, den klinischen Nutzen aufzuzeigen und bereits hier darzulegen, dass kein erhöhtes Risiko von dem Produkt ausgeht, das Nutzen-Risiko-Verhältnis also positiv ist. Dabei stößt man bereits auf die erste Herausforderung innerhalb der Bewertung: Wie kann ich für mein Produkt die Sicherheits- und Leistungsanforderungen, als auch den klinischen Nutzen in der Literatur nachweisen, wenn ich doch ein eigenes, vielleicht sogar hochinnovatives Produkt auf den Markt bringe?

Mithilfe des Äquivalenzproduktes zur Klinischen Bewertung
Zum eigenen Produkt werden vor allem zum Zeitpunkt der Erstzulassung keine oder nur wenige Daten in der Literatur vorliegen. Hier kommt der Begriff des Äquivalenzprodukts ins Spiel. Als Äquivalenzprodukt wird ein Produkt bezeichnet, das eine hohe Ähnlichkeit zu meinem eigenen Produkt aufweist. Die MDR spricht hier von „Gleichartigkeit“. In Anhang XIV Abschnitt 3 werden hierbei die drei Kategorien benannt, welche diese Gleichheit abbilden, nämlich die technischen, biologischen und medizinischen Merkmale. Ein Äquivalenzprodukt gilt demnach nur dann als gleichartig, wenn bei diesen Kategorien keine medizinisch relevanten Abweichungen auftreten. Genauer lässt sich hierzu auch die MDCG Guideline 2020-5 heranziehen. Diese schlüsselt die Anforderungen genauer auf und geht auf besondere Punkte innerhalb der Kategorien ein.
Zusätzlich zur Recherche in der Literatur nach gleichartigen Produkten und den dazugehörigen Daten, fließen auch Ergebnisse aus dem Post Market Surveillance in die Klinische Bewertung ein. Die Marktbeobachtung nach dem Inverkehrbringen gehört zu den Herstellerpflichten und generiert wertvolle Daten für die Klinische Bewertung. Dazu gehören Meldungen aus dem Markt und dem Reklamationsmanagement, aber auch Meldungen in einschlägigen Datenbanken, wie die des BfArM.
Die Literaturrecherche
Der größte Schritt, nachdem man sich über Äquivalenzprodukte und Datenlage im Klaren ist, ist die Literaturrecherche als solche. Hier sind über die Jahre sowohl mit Einführung der MDR, als auch über diverse Guidelines, die Anforderungen gestiegen und vor allem deutlicher definiert worden. Für eine gute Handlungsempfehlung eignet sich hier die Guideline N56 der International Medical Device Regulators Forum (IMDRF). Hier wird neben der MEDDEV 2.7.1 rev. 4 sehr gut erläutert, was für Anforderungen an eine Klinische Bewertung und vor allem auch an die Literatursuche zu stellen sind.
Es ist zunächst wichtig, dass der Suchprozess nachvollziehbar und rückverfolgbar ist und sich auf gängige wissenschaftliche Praxis stützt. Die Person (oder Personenkreis), die die Suche durchgeführt hat, sollte bekannt und im späteren Bericht vermerkt sein. Auch der Zeitpunkt der Recherche sollte klar definiert sein, ebenso wie der inkludierte Zeitraum. Dies hat zum Zweck, dass nachvollziehbar ist, welche Literatur einbezogen wurde und um zu zeigen, dass man die Suche eingegrenzt und den aktuellen Stand der Wissenschaft betrachtet hat. Weiter ist es wichtig, sich vor der Literatursuche Gedanken über die Kriterien zur Inklusion und Exklusion von Literatur zu machen. Es muss vorher feststehen, unter welchen Gesichtspunkten die Literatur bewertet werden soll und warum ich bestimme Quellen ausschließe. Auch hier muss sich die Entscheidung auf wissenschaftlich anerkannte Kriterien stützen und darf nicht willkürlich sein.
Die Abbildung 1 zeigt das Suchverfahren, wie es die IMDRF vorschlägt und es im allgemeinen Konsens als sinnvoll erachtet und durchgeführt wird. Es ist zu erkennen, dass die Bewertung in mehreren Durchgängen stattfindet: Einem groben Screening und eine genauere Bewertung nach Aussortierung.
Zusammenfassung
Eine Klinische Bewertung stellt also einen systematischen und wissenschaftlichen Ansatz dar, anhand dessen bewertet werden soll, ob von meinem Medizinprodukt bekannte Risiken ausgehen und ob es dem aktuellen Stand der Technik entspricht und die klinische Leistung erbringt. Im klinischen Bewertungsbericht werden diese Daten aus der Literatur gesammelt und bewertet. Dabei ist es möglich und mitunter auch nötig, sich auf Daten anderer Produkte zu stützen, sofern diese als gleichartig einzustufen sind. Eine Klinische Bewertung wird von der MDR eingefordert und ist Bestandteil der Dokumentation, die für das Konformitätsbewertungsverfahren nötig ist. Des Weiteren wird erwartet, dass eine Klinische Bewertung über den gesamten Lebenszyklus aufrechterhalten und immer wieder aktualisiert wird. Dabei fließen immer weitere und neuere Daten aus der Literatur in die Bewertung mit ein, sowie Erkenntnisse aus der Marktbeobachtung und den Rückmeldungen, sowie vorliegende Meldungen an Behörden über eigene und gleichartige Produkte.
Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 5/21 der MED engineering und ist Teil einer Serie in Zusammenarbeit mit der senetics healthcaregroup
Autor:

Deputy Head Qualitymanagement & Regulatory Affairs