Wie soll die Medizintechnik die Möglichkeiten des Internet of Medical Things besser nutzen und welche Vorteile ergeben sich daraus? Jochen Scharafin klärt auf.

Das Internet der Dinge (IoT, oder Internet of Medical Things, IoMT) schafft für Unternehmen in allen Branchen einen Mehrwert, indem es Prozesse vorantreibt und neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet. Eine der großen Herausforderungen ist jedoch die Notwendigkeit, neue Arten von IoT-Daten von Geräten verschiedener Anbieter, Sensoren und Anwendungen von Drittanbietern schnell in bestehende Kerngeschäftsanwendungen zu übernehmen.
Unternehmen, die sowohl die Interoperabilität von Gerätedaten als auch die Integration bestehender Anwendungen gemeistert haben, sind erfolgreich bei der Schaffung neuer und nachhaltiger Geschäftsmöglichkeiten.
Konventionelle Predictive Maintenance, beruhend auf Daten aus der Vergangenheit und der Gegenwart, wird schon lange eingesetzt. Heute sprechen wir daher besser von vorausschauendem, proaktiven Gerätemanagement.
Servicekonzepte, bei denen Wartungsintervalle anhand von kalendarischen Einträgen, hinterlegten Dokumenten oder periodisch wiederkehrenden technischen Überprüfungen für bestimmte Medizingeräte hinterlegt sind, sind bereits langjährig etablierter Standard. Oftmals existieren auch Remoteanbindungen an den Hersteller, an externe Servicestrukturen oder beauftragte und berechtigte Dritt-Unternehmen. In diesen konventionellen Servicekonzepten werden allerdings nur der aktuelle Ist-Zustand und/oder Nutzungsdaten der Maschine aus der Vergangenheit gesammelt und retrospektiv analysiert. Es werden keinerlei Erkenntnisse aus den bereits existierenden Informationspools im klinischen Kontext des Medizingerätes berücksichtigt und keinerlei Erkenntnisse darüber gewonnen, wie das betreffende Medizinprodukt zukünftig ausgelastet und individuell benutzt wird.
Die Predictive Maintenance gilt als Parade- und Erfolgsbeispiel für das Industrial Internet of (Medical) Things – die Industrie 4.0: Maschinen, die im Bedarfsfall eine Wartung anfordern – Medizingeräte, die in Echtzeit über ihre Auslastung und ihren aktuellen Zustand informieren. Hier liegt die Chance, den Predictive-Ansatz weiter zu fassen.
Die nächste Stufe der vorausschauenden Wartung
Wie so häufig liegt der Schlüssel bei der Erschließung von Mehrwerten in der Verknüpfung bereits existierender Informationspools, sprich im Verbinden nebeneinander existierenden Wissens:
Sie kennen das vielleicht von modernen Autos. Sie starten die Zündung und erhalten folgende Meldung auf dem Amaturenbrett: „Öl Service in 30 Tagen“. Wie ist mit dieser Information umzugehen? Woher hat das Auto diese Information? Es ist bereits etablierter Standard, dass gewisse Serviceprotokolle hinterlegt sind, die in periodischen Abständen, zum Beispiel alle 12 Monate einen bestimmten Service-Vorgang empfehlen. In Automobilen moderneren Baujahrs kommen dann noch Sensoren hinzu, die den aktuellen Zustand des Autos und des Motors permanent überwachen. Zum Beispiel, ob ein Filter verstopft ist oder die Bremsbeläge verschlissen sind.
Wir haben einen aktuellen Ist-Zustandsbericht des Fahrzeugs berechnet aus Nutzungsdaten in der Vergangenheit bzw. im besten Fall einen Zustandsbericht aus Nutzungsdaten der Vergangenheit in Verbindung mit dem momentanen Zustand des Fahrzeugs.
Was bei der Empfehlung, einen Ölservice in 30 Tagen vorzunehmen, nicht berücksichtigt wird, sind die zukünftigen Pläne zur Nutzung des Autos: Zum Beispiel, dass der Fahrer plant, in Zukunft mehr zu Fuß zu erledigen, oder dass er das Auto häufiger für den Weg zur Arbeit nutzen wird. Der Algorithmus, der hinter den Service-Empfehlungen steckt, hat keine Informationen darüber, wie die zukünftigen Pläne aussehen, wie der Kalender des Fahrzeugnutzers belegt ist.
Für Medizingeräte ist die Situation vergleichbar mit der der Autoindustrie. Allerdings existieren bereits Informationen darüber, wie das betreffende Medizinprodukt in der Zukunft benutzt und ausgelastet sein wird im KIS, RIS/PACS, LIS etc.
Wir haben die Möglichkeit Gerätedaten mit Informationen über zukünftige Ereignisse anzureichern, mittels Informationen über den gesamten klinischen Kontext der Gerätebenutzung oder elektronische Kalender jeder Art, zum Beispiel einer DICOM Worklist oder anderer Planungssysteme.
Für die Medizintechnik gilt, dass wir es mitunter mit hochkomplexen elektronischen und elektromechanischen Systemen zu tun haben, die in einen wiederrum extrem komplexen und effizienzgetriebenen Workflow integriert sind.
Beispiel Strahlentherapie
Konkret möchte ich Ihnen am Beispiel der Strahlentherapie das Konzept des proaktiven prädiktiven Maintenance Managements aufzeigen:
In der Strahlentherapie kommen sehr teure Geräte zum Einsatz. Es gibt keinen „Ersatzgerätepool“, auf den man ohne Weiteres ausweichen könnte. Gleichzeitig ist eine Bestrahlung ein langwieriger Prozess, der von einer präzisen Planung und täglicher Regelmäßigkeit lebt. Die Behandlung erfolgt in Fraktionen, die Tag für Tag über mehrere Wochen verteilt und geplant sind! Demnach sind die Maßnahmen bereits sehr ausgeklügelt, um Ausfallszenarien zu bewältigen oder zu verhindern. Die Linearbeschleuniger sind bereits per Remote mit dem Service der Hersteller verbunden, es gibt Analysefunktionen und der Medizinphysiker kennt „seine Maschine“, genauestens.
In der Strahlentherapie existieren auch exakte Informationen über die geplante Auslastung eines Gerätes. Es existieren Daten darüber, welche Bestrahlungen, in welcher Intensität und Dauer in den nächsten Wochen anstehen. Wir haben dort also eine Information über die vergangene Nutzung und den aktuellen Zustand des Linearbeschleunigers. Es existieren ebenfalls Informationen über die zukünftige Auslastung in Qualität und Quantität im Planungssystem der Strahlentherapie. Und es existieren Informationen über patientenspezifische Faktoren die Rückschlüsse darüber erlauben, in welcher Intensität der Linearbeschleuniger bei der jeweiligen Behandlung benutzt werden wird.
Eine „smarte“ Verknüpfung all dieser existierenden Informationen (Maschinendaten, Kalender, Patientendaten etc.) mit einem KI-unterstützten Mechanismus wäre in der Lage retrospektiv UND prospektiv zu analysieren – ganz im Sinne der Sicherstellung von Hochverfügbarkeit.
Konkrete Vorteile und Benefits
- Mit der proaktiven Kontrolle über den Wartungsprozess erreichen Sie
- Kosteneffizienz,
- verbesserte Workflow-Effizienz,
- und schlussendlich verbesserten Patientenkomfort und Sicherheit
anstatt einer vagen Wartungsempfehlung („Ölservice in 30 Tagen“) oder im schlimmsten Fall einem – eigentlich vorhersehbaren – Defekt der Maschine mit allen Unannehmlichkeiten oder gar Patientengefährdungen, die damit einhergehen.
Ein moderner erweiterter Predictive Mainentance Management-Ansatz stellt eine Kombination aus klassischer vorrausschauender Wartung, Smart Maintenance und Service Management unter Berücksichtigung zukünftiger Ereignisse dar.
Für solche IoMT-Projekte wird eine Plattform benötigt,
- die sich durch Performance und Skalierbarkeit
- auszeichnet,
- die integrierte Fähigkeiten für maschinelles Lernen
- mitbringt,
- die in Sachen Interoperabilität Industrie und
- Gesundheitsversorgung spricht.
Brückenschlag von Industrie 4.0 zu Medizintechnik 4.0
Mit dem Internet der Dinge werden neue nachhaltige Serviceangebote, Prozessoptimierungen und Geschäftsmodelle für Unternehmen möglich. Eine umfassende Datenstrategie und -technologie ist Grundvoraussetzung für langfristigen Erfolg im IoMT. Mit InterSystems IRIS for Health sind Konstrukteure und Entwickler der Medizintechnik nicht nur in der Lage, für die vorausschauende Wartung enorme Datenmengen unterschiedlicher Art und Quelle zur rechten Zeit am rechten Ort zusammenzuführen, sondern auch zwischen der Industrie 4.0 und der Medizintechnik 4.0 eine Brücke zu schlagen. Eine vorausschauende Wartung, die zukünftige Ereignisse berücksichtigt, rückt so in die Gegenwart.
Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 5/21
Autor: Jochen Scharafin, Geschäftsbereich IRIS for Health Data Platform