Im Oktober 2021 hat Alexander Hilck die Leitung von Niedersachsen ADDITIV übernommen. Er ist damit ab sofort erster Ansprechpartner für Unternehmen, die Interesse am 3D-Druck haben.

Wir sprachen mit Alexander Hilck, dem Leiter von Niedersachsen ADDITIV, über die Möglichkeiten des 3D-Drucks in der Fertigung & Medizintechnik. Sein Team unterstützt zukünftig Unternehmen, die Interesse am 3D-Druck haben, aber noch Hilfe für den Einstieg in die Thematik suchen.
MED: Herr Hilck, Sie haben seit 1. Oktober letzten Jahres die Leitung von Niedersachsen ADDITIV übernommen. Wie drücken Sie nun dem Projekt Ihren Stempel auf?
Alexander Hilck: Für mich steht die Nähe zur betrieblichen Praxis im Vordergrund. Für viele kleine und mittlere Unternehmen ist das Thema 3D-Druck immer noch weit weg. Wir sind aber mittlerweile in einer Phase der technologischen Entwicklung, in der sich immer mehr Einsatzgebiete für den 3D-Druck ergeben – oft ist der 3D-Druck für ein Unternehmen sogar sinnvoller als die konventionelle Fertigung. Wir wollen diese individuellen Einsatzgebiete gemeinsam mit den Unternehmen herausfinden. Das geht nur, wenn man sich an den Bedürfnissen und Anforderungen des Unternehmens vor Ort orientiert.
Was macht den 3D-Druck aus Ihrer Sicht so einzigartig?
Mit dem 3D-Druck lassen sich Produkte, Prototypen oder Bauteile auf vielfältige Arten fertigen, sowohl was das Design angeht als auch das Material. Die Additive Fertigung ist eine komplett neue Art zu konstruieren, die auch wirklich komplexe Geometrien möglich macht. Für den Bereich Medizintechnik bieten sich beispielsweise unglaubliche Möglichkeiten an, patientenindividuell zu fertigen. Von Hilfsmitteln, die durch kleine Abänderungen an die jeweiligen Nutzerinnen und Nutzer angepasst werden bis zu Orthesen, Prothesen und Implantaten, die genau auf die Bedürfnisse der Patienten hergestellt werden können.
Der 3D-Druck bietet für viele Situation eine spezielle Lösung. Dabei bieten verschiedene Materialien und Verfahren den Anwendern unterschiedliche Herangehensweisen. Gibt es dennoch einige Verfahren, die sich mittlerweile anderen gegenüber durchsetzen?
Pauschal kann man das nicht sagen. Auch Verfahren, die anfangs nur einen sehr konkreten Einsatzzweck hatten, werden weiterentwickelt und finden dadurch neue Einsatzgebiete. Ein Beispiel ist das Stereolithografieverfahren, bei dem flüssiges Kunstharz durch Lichteinwirkung strukturiert wird. Lange Zeit war das Verfahren primär für Anschauungsobjekte geeignet, da die Materialien sehr spröde waren. Es gibt aber mittlerweile auch in der Stereolithografie Materialien, die sich für funktionale Bauteile oder Prototypen eignen. Recht häufig wird das Verfahren in Zahnlaboren etwa für Beißschienen eingesetzt. Auch andere Verfahren im Kunststoffbereich, wie das Extrusionsverfahren oder das SLS-Verfahren, haben ihre spezifischen Vorteile und werden daher kontinuierlich weiterentwickelt. Im Metallbereich ist das Pulverbett-Verfahren (LPBF) am stärksten vertreten.
Niedersachsen ADDITIV ist Ansprechpartner für die zahlreichen KMU im Bundesland. Wie weit hat sich die Technologie schon durchgesetzt? Ist es für viele Neuland?
Bei vielen großen Unternehmen ist die Additive Fertigung schon fest etabliert und wird standardmäßig unter anderem im Prototypenbau genutzt. Es gibt auch Unternehmen, die eigene Abteilungen zum 3D-Druck haben. Bei kleinen und mittleren Unternehmen sieht das, bis auf zahnmedizinische Unternehmen, ganz anders aus. Hier werden auch die Prototypen in der Regel noch konventionell gefertigt. Es gibt hin und wieder jemanden, der sich im privaten Umfeld mit dem 3D-Druck beschäftigt und die Expertise ins Unternehmen bringt. Dennoch: Oft ist es für die Unternehmen noch Neuland.
Ist Niedersachsen ADDITIV mit anderen Projekten verbunden?
Hinter Niedersachsen ADDITIV stehen das Laser Zentrum Hannover e.V. und das Institut für integrierte Produktion Hannover gGmbH. Dadurch verfügen wir über jede Menge Expertise und Kontakte in den Bereichen Additive Fertigung und Produktionstechnologie. Wir arbeiten häufig mit der Medizinischen Hochschule Hannover zusammen und sind mit dem Niedersächsischen Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklung verbunden. Wir kooperieren außerdem eng mit den relevanten Akteuren in den Bereichen Digitalisierung und Mittelstand sowie den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern in Niedersachsen. Es werden auch in Zusammenarbeit gemeinsame Veranstaltungen geplant, um den KMU den 3D-Druck näherzubringen und ihnen den Einstieg in das Thema zu erleichtern.
Aus dem Hobbybereich weiß ich aus eigener Erfahrung, dass die Geräte für den 3D-Druck nun immer erschwinglicher werden. Wie verhält es sich im Industriemaßstab? Sollten Unternehmen ihre eigenen Drucker & Services aufbauen, oder sich lieber an einen etablierten Experten wenden?
Wenn man mit dem 3D-Druck professionell starten möchte, ist es immer eine gute Idee, sich zunächst an Experten zu wenden. Oft ist noch nicht absehbar, welches Material verwendet werden soll oder wie die Bauteilparameter abschließend sein sollen. Daher kann ein erster Schritt sein, einen Dienstleister zu kontaktieren und sich Prototypen aus verschiedenen Materialien und mit verschiedenen Verfahren drucken zu lassen. Dann kann man in Ruhe prüfen, was dem gewünschten Ergebnis am nächsten kommt. Kleinen und mittleren Unternehmen aus Niedersachsen bieten wir unseren „Praxis-Check 3D-Druck“ an. Dabei gehen wir genau solchen Fragen nach. Alle Infos dazu gibt es auf unserer Website unter www.niedersachsen-additiv.de.
Gibt es Förderungsmöglichkeiten für Kleine Mittelständische Unternehmen von der Regierung?
Es gibt viele Fördermöglichkeiten im Bereich Digitalisierung für KMU, mit denen 3D-Druck-Vorhaben unterstützt werden können. Da ist zum Beispiel das Förderprogramm “Digital Jetzt” des Bundeswirtschaftsministeriums. Auch auf Landesebene gibt es in Niedersachsen neben Niedersachsen ADDITIV noch anderen Förderangebote. Wir unterstützen niedersächsische Unternehmen gerne dabei, das richtige Angebot zu finden.
Betreut Niedersachsen ADDITIV auch Projekte im Bereich der Medizintechnik?
Wir arbeiten tatsächlich gerade mit einem sehr spannenden Unternehmen aus der Medizintechnik zusammen: Gemeinsam mit der Syntellix AG wollen wir ein Vorhaben umsetzen, in dem es um Implantate aus dem 3D-Drucker geht. Um was es genau geht und was dann dabei herausgekommen ist, verraten wir aber erst nach Abschluss des Praxis-Checks auf unserer Website.
Zu welchem Zeitpunkt könnte es für ein Medizintechnik-Unternehmen interessant werden, einen Teil ihrer Produktion über Additive Fertigung zu realisieren?
Additive Fertigung lohnt sich oft, wenn die Komplexität hoch ist und die Stückzahl niedrig. Medizintechnik-Unternehmen, die ein neues, relativ komplexes Produkt wie beispielsweise ein Hörgerät auf den Markt bringen wollen, sollten überlegen, die Produktion von Anfang an mittels 3D-Druck zu gestalten. Unabhängig davon ist die Fertigung erster Prototypen mittels 3D-Drucker fast immer sinnvoll.
Beim Branchentreff Medizintechnik in Hannover erklärte Prof. Theodor Doll vom Fraunhofer Leistungszentrum für Translationale Medizintechnik, dass man bei der Additiven Fertigung regulatorisch Neuland betritt. Wie bestehen die etablierten Verfahren die Medical Device Regulation-Hürde? Gibt es Punkte, auf die Hersteller besonders achten müssen?
Das ist ein sehr spezielles Thema. Zu klären ist beispielsweise, ob der Drucker selbst als Produktionsmittel zu sehen ist. Neben den Materialien muss auch die Software geprüft werden. Hierzu hat beispielsweise die FDA in den USA einen Leitfaden aufgesetzt, der auch von den Herstellern in Deutschland als erste Orientierung genutzt werden kann, um diese “Regulations-Hürde” einfacher zu überwinden.
Wo sehen Sie die Additive Fertigung in fünf Jahren?
In fünf Jahren wird das 3D-Druck-Verfahren die erste Wahl für viele spezielle Einsatzgebiete sein. Die Materialvielfalt wird größer, höhere Auflösungen werden möglich und weniger Nachbearbeitung nötig sein. Im Zuge der Digitalisierung wird es für viele Unternehmen immer sinnvoller werden, sich mit der Additiven Fertigung zu beschäftigen.
Dieses Interview erschien in der Ausgabe 2/2022 der MED engineering